Auktionen: Ketterer Kunst: Jahresumsatz reißt erstmals die 100-Millionen-Marke

Ein deutscher Sammler sicherte sich das 1982 mit Kreide gezeichnete „Subway Drawing“ für 500.000 Euro (inkl. Aufgeld).
München. Die Bilanz ist beachtlich: Mit allen Saal- und Onlineauktionen sowie den Private Sales meldet Ketterer erstmals einen Jahresumsatz über 100 Millionen Euro. Das Münchner Unternehmen sieht sich erneut als Marktführer unter deutschen Auktionshäusern. Allein die Auktionen vom 9. und 10. Dezember erzielten laut dem Auktionshaus über 50 Millionen Euro. In der Abendauktion wechselten mehrere Werke von Ernst Ludwig Kirchner und Schmidt-Rottluff für über 4 Millionen Euro die Besitzer.
„Der internationale Kunstmarkt ist nicht mehr nur in London oder New York angesiedelt. Er findet heute auch in Deutschland statt.“, meint Robert Ketterer, Inhaber und Auktionator des derzeit potentesten Auktionshauses in Deutschland. Belege für seine These lieferte seine hochkarätige Abendauktion am Freitag zu Genüge.
International gefragt war etwa Keith Harings Subway Drawing von 1982 mit zwei typischen Strichmännchen. Mit 500.000 Euro (alle Preise inkl. Aufgeld) gewährte letztlich ein Deutscher einen internationalen Spitzenpreis für ein Werk dieser Art. Nur Christie´s hat bislang mit einem noch größeren Underground-Graffiti die Millionengrenze geknackt.
Das mattschwarze Papier der Kreidezeichnung wurde in den 1980er-Jahren zum Überkleben veralteter Werbeflächen genutzt. Der Pionier der Street Art hat sie direkt in den U-Bahnschächten mit Kreide bemalt, bevor die nächste Lage Werbeposter draufgeleimt wurde. Dass sie in Sammlerhände gelangten, ist deshalb selten.
Die Versteigerung mit ausgewählten Werken moderner und zeitgenössischer Kunst aber wurde vor allem eine Sternstunde für den vor Kurzem noch als lahmende Ente bezeichneten Expressionismus-Markt. Ein Raunen ging durch den Saal, als Ernst Ludwig Kirchners Gemälde „Das blaue Mädchen“ aufgerufen wurde. Ein Meisterwerk aus der Frühzeit des Expressionismus: Mit schroffen Linien und kühnen Farbkontrasten von Orange und Blau hat Kirchner sein Lieblingsmodell Fränzi hockend dargestellt und in eine sandige Landschaft platziert.

Der Galerist Raimund Thomas und ein Partner aus dem Kunsthandel erwarben das expressionistische Werk für 4,75 Millionen Euro.
Bei 4,75 Millionen Euro setzte sich gegen Bieter aus der Schweiz und Skandinavien der Münchner Galerist und Moderne-Kenner Raimund Thomas gegen zwei Telefone durch. Wie das Handelsblatt erfuhr, hat er das auf zwei bis drei Millionen taxierte Werk gemeinsam mit einem Partner aus dem Kunsthandel erworben.
Ketterer hatte an diesem Abend einige Schwergewichte der Avantgarde aufgefahren. Unmittelbar vor Kirchners Fränzi erlebte schon das kristallin-expressive Porträt der Dichterin Else Lasker-Schüler von Karl Schmidt-Rottluff ein hartes Ringen. Das Gemälde mit dem Titel „Die Lesende“ ging für 4,06 Millionen Euro in eine rheinische Sammlung.
Einen weiteren Einsatz über 4 Millionen Euro forderte Kirchners ausdrucksstarke, roh und archaisch wirkende Skulptur „Hockende“ von 1910. Sie wird demnächst nach USA verschifft. Von den insgesamt acht siebenstelligen Erlösen des Abends gingen allein sechs auf das Konto von Brücke-Künstlern.
Die 1905 in Dresden gegründete Künstlergemeinschaft gilt als die Wiege des deutschen Expressionismus. Ketterer musste für seine Spitzenware nicht lange akquirieren. Alle museal bedeutsamen, siebenstellig verkauften Brücke-Gemälde, darunter auch das für 1,95 Millionen Euro versteigerte Schlüsselbild „Rote Düne“ von Karl Schmidt-Rottluff, stammten aus der Sammlung Hermann Gerlinger. Sie gilt als bedeutende und umfangreichste Brücke-Sammlung und wurde Ketterer Anfang des Jahres zur Vermarktung anvertraut.
Ketterer sagte im Gespräch mit dem Handelsblatt, dass er mit dieser Auswahl die „Marke“ Gerlinger für die kommenden Tranchen dieses Konvoluts noch stärker bewusst machen wolle. Insider hingegen sehen dieses Dutzend erstklassiger Werke als Antwort auf Grisebachs Beckmann-Selbstporträt, das der Berliner Versteigerer auf mindesten 20 Millionen taxiert hatte und für 23 Millionen weiterreichte. Beide Häuser konkurrieren um die Marktführerschaft in Deutschland.
Wer den wissenschaftlichen Sammlungskatalog des Würzburger Unternehmers kennt, weiß, dass die bei Ketterer angebotenen Gemälde die Glanzpunkte dieser Kollektion und Inkunabeln der Brücke-Künstler sind. In der Abendauktion haben nach eigener Berechnung allein die Lose aus der Sammlung Gerlinger trotz zweier Retouren von hochbewerteten Gemälden Kirchners und Schmidt-Rottluffs 20,3 Millionen Euro eingespielt.
In der ebenfalls mit zahlreichen Gerlinger-Losen ausgestatteten Tagesauktion Moderne Kunst reizte vor allem Erich Heckels Farbholzschnitt „Zwei sitzende Frauen“ von 1912. Er kostete 150.000 Euro.
Stabiler Markt für Spitzenkunst trotz Energiekrise und Inflation
Ketterers Kalkül jedenfalls ist aufgegangen. Mit einer Gesamtsumme von 59 Millionen Euro für die Auktionen des zweiten Halbjahrs ist Ketterer nicht nur Spitzenreiter der Saison. Auch der Jahresumsatz von 103 Millionen Euro für alle Saal- und Onlineauktionen sowie Private Sales festigt die Top-Stellung des Münchner Hauses. Es ist das beste Jahresergebnis, das Ketterer je eingefahren hat. „Das zeigt uns, dass der Kunstmarkt trotz Energiekrise und Inflation in den hochqualitativen Bereichen stabil ist“, so Ketterer.
Ketterers Platz ganz vorn im deutschen Ranking ist jedoch nicht nur den Werken aus der Sammlung Gerlinger zu verdanken. Das Münchner Auktionshaus hatte mit attraktiven Werken von Ernst Wilhelm Nay, Günter Uecker, Andy Warhol und Robert Rauschenberg ein hochkarätiges und fast durchgängig im sechsstelligen Taxenbereich liegendes Angebot zusammengestellt. Eine Offerte, die mit einer glanzvollen losbezogenen Quote von 92 Prozent abgesetzt wurde.

Das großformatige Gemälde „Hofteich“ erzielte 1,054 Millionen Euro.
Unübersehbar fährt Ketterer seine Doppelstrategie fort. Er bedient die deutsche Sammlerschaft und zieht mit international gefragter Kunst den Radius über Europa hinaus. Mit einer vorsichtigen Mindesttaxe von 600.000 Euro war Richard Serras Stahl-Skulptur „Corner Prop No. 6“ taxiert. Sie ist das erste unikate Werk des Bildhauer-Weltstars auf dem Auktionsmarkt. Von München aus geht der tonnenschwere Balanceakt aus zwei Stahlplatten nun für 1,054 Millionen Euro in die USA.
Im Bereich Contemporary konnte in dieser Preiskategorie nur Georg Baselitz mithalten. Sein großformatiges Gemälde „Hofteich“ erzielte denselben Preis. Mit US-Geboten liebäugelte Ketterer wahrscheinlich bei Stanley Whitneys konstruktiver Farbfeldmalerei „N. O. 9th Ward“ von 2007. Der 76-jährige afroamerikanische Maler wird in den USA nicht erst seit seiner Aufnahme in den Ehrentempel der Galerie Gagosian gefeiert. Gegen starke Konkurrenz aus Asien und den USA setzte sich jedoch ein Schweizer Sammler bei 575.000 Euro durch.
„Wir müssen uns mit unseren Preisen nicht verstecken“, so Ketterer. Erlöse von 865.000 Euro für Beckmanns querformatige Leinwand „Holzsäger im Wald“ und 655.000 für Anselm Kiefers geheimnisvoll-poetisches Materialbild „Die Ordnung der Engel“ sprechen für eine glanzvolle Auktion.
Beachtlich ist auch der Preis für Oskar Schlemmers Gouache „Vierergruppe mit Grau“ von 1930, das wie eine Vorstudie zu seiner weltberühmten Leinwand „Bauhaustreppe“ wirkt. Für 425.000 Euro sicherte es sich ein hessischer Sammler gegen Konkurrenz aus dem In- und Ausland.
Dieses geballte Paket an hochwertigen Werken, deren Schätzungen oft schon bei 400.000 bis 500.000 und aufwärts lagen, war aber auch ein Seismograph für die internationale Strahlkraft eines deutschen Auktionshauses. „Es ist schwer, solche Werke zu bekommen. Aber man muss auch in der Lage sein, für Bieter zu sorgen“, bemerkte Ketterer am Rande der Auktion.
Nach den Höhenflügen des Expressionismus fiel der Hammer durchweg in der Nähe der Taxen. Die Luft in der preislichen Oberliga ist dünner. Zu dynamischen Steigerungen kam es häufiger bei der Tagauktion für zeitgenössische Kunst.

Sehr gefragt war Martin Kippenbergers zwischen gestischer Aktion und Abstraktion angesiedelte Leinwand von 1982. Ihr Preis kletterte von taxierten 90.000 Euro auf 212.000 Euro mit Aufgeld. Bei Ketterer zeigte sich der deutsche Kunstmarkt ohne Zweifel von seiner vitalsten Seite.
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