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Bilanz 2023Gedämpfter Kunstmarkt: Sammler lernen wieder Maß halten

Der Kunstumsatz liegt unter dem des Vorjahres. Aber wer kaufte, musste nicht gegen Spekulanten bieten. Einblicke in einen stabilen Markt in herausfordernden Zeiten.Christian Herchenröder 20.12.2023 - 18:15 Uhr Artikel anhören
Das extrem schmale Hochformat „Der Akrobat“ von Heinrich Maria Davringhausen wurde von Van Ham zum Rekordpreis von 580.800 Euro in eine deutsche Sammlung vermittelt. Foto: Van Ham

Berlin. Ganz so problematisch, wie es manche sehen, ist es noch nicht. Die Kunstmärkte haben nach einem robusten bis glänzenden Jahr 2022 eine deutliche Abkühlung erfahren. Hatte das erste Halbjahr 2023 dank millionenschwerer Markttrophäen unter anderen von Rubens, Picasso, Kandinsky, Klimt, Magritte noch den Anschluss gefunden, so zeigte sich nach dem Sommer ein wachsender Trend zum Maßhalten und eine Dämpfung höchster Preiserwartungen, eine Rückkehr zur Normalität mit reduziertem Spekulationsdrang.

Zwar gab es noch bei Sotheby’s mit 139 Millionen Dollar einen herausragenden Zuschlag für Picassos farbseliges Gemälde „Frau mit Armbanduhr“ und bei Christie’s führt ein „Seerosenteich“ von Claude Monet mit 64 Millionen Dollar die Liste der teuersten Auktionsbilder dieser Saison an. Aber in allen Prestige-Auktionen oder „Marquee sales“, wie sie inzwischen genannt werden, zeigte sich ein Hang zum moderaten Bieten.

Das ist Haupttendenz eines gedämpften Marktes, wenn eine Vielzahl der Gebote an der unteren Schätzung bleibt oder sie Letztere ohne das hinzugerechnete Aufgeld noch nicht einmal erreicht. In den New Yorker November-Auktionen traf das zu auf Werke von Cézanne, Monet, Modigliani, Picasso, Rothko, de Kooning.

Weiteres Indiz für die Abkühlung ist die wachsende Zahl in letzter Minute wegen Absatzängsten oder konträrer Preisvorstellungen zurückgezogener Werke. Allein in den New Yorker Abendauktionen moderner Kunst von Christie’s, Sotheby’s und Phillips waren es insgesamt 14 Lose.

Christie’s bezifferte Anfang der Woche seinen diesjährigen Gesamtumsatz mit Kunst auf 6,2 Milliarden Dollar. 1,2 Milliarden Dollar trugen die wachsenden Privatverkäufe bei. Fünf Milliarden fuhren Versteigerungen ein. 2022 aber waren es dank der Ausnahmesammlung von Microsoft-Mitgründer Paul Allen im Wert von 1,6 Milliarden Dollar noch 7,2 Milliarden gewesen. Guillaume Cerutti, Christie’s CEO, zeigt sich deshalb auch „zufrieden in einem herausfordernden Kontext“.

Sotheby’s Chef Charles Stewart meldete kurz darauf in einer summarisch gehaltenen Aussendung eines der „stärksten Geschäftsjahre“ für sein Haus mit einem Gesamtumsatz „von acht Milliarden Dollar“. Darin könnten Sotheby’s Immobiliengeschäfte eingerechnet sein. Den Kunstumsatz allein wollte die Pressestelle allerdings nicht nennen. Immerhin 70 Werke ließen sich über der Schwelle von zehn Millionen Dollar verkaufen.

Dass in vielen Spitzenversteigerungen die Gesamterlöse am Rande der unteren Taxen blieben, ist ein weiteres Anzeichen einer Marktberuhigung. Nicht minder sind es niedrigere Umsätze in den Auktionen moderner und zeitgenössischer Kunst in Hongkong, die in diesem Herbst um 21 Prozent gegenüber dem Frühjahr gesunken sind. Die entsprechenden New Yorker Auktionen haben laut dem Analysten Arttactic gar um 42 Prozent abgespeckt.

Für Käufer ist es eine gute Zeit, weil es streckenweise kaum Gegenbieter gibt

Angelsächsische Medien sprechen von einem „soft market“, von einem gedämpften Markt. Die Einlieferer marktbestimmender Spitzenwerke sind wegen des ökonomischen Klimas verunsichert. Hohe Zinsen und die abgekühlte Weltwirtschaft spielen immer noch eine Hauptrolle. Aber für Käufer ist es eine gute Zeit, weil es streckenweise kaum Gegenbieter gibt. „Es ist ein echter Sammlermarkt und nicht ein Markt der Spekulanten“, sagt Sotheby’s Verwaltungschef Charles Stewart.

Bietgefechte in den höchsten Preisregionen waren in diesem Herbst selten. Oft ist es nur ein einziges Telefon, das die Garantiesumme erreicht. Das betrifft sogar Picassos oben erwähntes teuerstes Bild der Saison, eines von 31 mit Garantien abgesicherten Losen in Sotheby’s Fisher-Landau-Auktion vom 9. November. Es überrundete seine Garantie um lediglich eine Million Dollar.

Die Risikoabsicherung beherrscht den weichen Markt. Das zeigte sich in allen New Yorker November-Sitzungen der drei großen Auktionshäuser, in denen insgesamt 170 Werke mit Garantien bedacht, also im Vorfeld bereits verkauft waren.

David Hockneys Gouache „Questen“ wechselte bei Grisebach nach langem Bietkampf für 222.250 Euro die Hände. Foto: Karen Bartsch, Berlin; Grisebach GmbH

Preiskorrekturen und vorsichtige Käufer in der Spitze des Marktes registriert der im November erschienene „Survey of Global Collecting“ von UBS und Art Basel, der einen von 24 auf 19 Prozent gesunkenen Anteil an Kunst in den Portfolios der Superreichen errechnete. Ein Vertrauensschwund äußert sich auch darin, dass nur 26 Prozent (statt 39 im Vorjahr) von 2828 befragten reichen und ultrareichen Sammlern in elf Regionen in den nächsten zwölf Monaten planen, Werke aus ihrem Besitz zu veräußern.

Clare McAndrew, die Autorin des Reports, konstatiert, dass vor allem die Kategorie der Werke über zehn Millionen Dollar den Markt belebt und alles andere dagegen abfällt. Immer wieder wird von anderen Marktbeobachtern betont, dass der sogenannte Mittelmarkt der Objekte von 20.000 bis 500.000 Euro schwächelt und vor allem die hochpreisige Kunst gefragt sei. Das aber ist eine Verallgemeinerung, die sich nicht halten lässt.

Dagegen stehen etwa die Grafik-Auktionen dieses Jahres, in denen nicht nur die Marktgiganten Dürer, Rembrandt und Warhol, sondern auch Gegenwartskünstler wie David Hockney oder Damien Hirst gefragt waren. Das zeigen auch die Auktionen von Handzeichnungen des 15. bis 19. Jahrhunderts, die in angelsächsischen Auktionen eine immer breitere Sammlerschaft finden.

19 Prozent
Der Kunstanteil in den Portfolios der Superreichen ist gesunken
UBS und Art Basel Survey of Global Collecting

Wer auf andere Marktsparten schaut, wird bei Berücksichtigung eines latenten Geschmackswandels noch interessante Alternativen zum Markt der modernen und zeitgenössischen Kunst finden. Es ist kein Zufall, dass preisbewusste Sammler dieser Sparte sich inzwischen auch im Sektor Alter Kunst bewegen, weil der Altmeistermarkt auch in seiner Topregion Werke zu bieten hat, die weit unter den Preisen angesiedelt sind, die Markttrophäen des 20. und 21. Jahrhunderts kosten.

Für die 139 Millionen Dollar, die Picassos „Frau mit Armbanduhr“ erzielte, kann man drei bis fünf markante Altmeister-Sammlungen aufbauen. Es ist daher kaum verwunderlich, dass die beiden jüngst wiederentdeckten Goldgrund-Gemälde des Sienesers Pietro Lorenzetti mit den Halbfiguren des Papstes Silvester I. und der Hl. Helena am 13. Dezember vom Pariser Auktionator Tajan für 4,6 Millionen Euro einem amerikanischen Sammler der Gegenwartskunst zugeschlagen wurden. Lorenzetti, dessen Fresko „Das letzte Abendmahl“ in Assisi zu den berühmtesten Werken des italienischen 14. Jahrhunderts zählt, war sicherlich eine gute Wahl – nicht zuletzt, weil Goldgrund-Gemälde dieser Epoche immer teurer werden.

Tiffanys „Wisteria“-Lampen sind ein Dauerbrenner. Diese Exemplare aus der Cycad Collection erzielten 1,4 und 1,6 Millionen Dollar. Foto: Sotheby's

Ein Blick auf weitere Sparten zeigt, dass der Markt immer dann, wenn es um den Verkauf bedeutender Sammlungen geht, keine Ermüdung zeigt. Das ließ sich vor allem beim Material der bei Christie’s versteigerten Rothschild-Sammlungen nachvollziehen. Die in vier Auktionen ausgebotenen Objekte erzielten 62,6 Millionen Dollar. Das erste Mal seit zehn Jahren kamen zwei Paar Fauteuils der Epoche Louis XVI. auf 4,4 beziehungsweise 6,2 Millionen Euro und italienische Renaissancekeramik des 16. Jahrhunderts erlöste bis zu 819.000 Dollar, die einem 1541 datierten, mit historischer Szene bemalten Urbino-Teller galten.

Zu betonen ist, dass auch der Markt für herausragende Designobjekte der Epochen Jugendstil und Art Déco wieder im Aufwind ist. Bei Sotheby’s in New York erzielten Tiffanys farbintensive „Wisteria“-Lampen in Form hängender Glyzinien aus der Cycad Collection 1,4 und 1,6 Millionen Dollar. Alle anderen Tiffany-Objekte wurden in diesem Dezember lückenlos abgesetzt.  

Paris gräbt dem Londoner Markt das Wasser ab

Auch die witzig-gewagten Tierskulpturen und Sitzmöbel des französischen Designerpaars Lalanne sind unvermindert zu hohen sechsstelligen und Millionenpreisen Dauerseller in New Yorker und Pariser Auktionen. Der museale Rhinozeros-Sekretär erzielte im Oktober bei Christie’s in Paris den Rekordpreis von 18,3 Millionen Euro.

Es lohnt sich, nach Paris zu blicken, denn dieser Markt gräbt London immer mehr Wasser ab. Das lässt sich schon an dem Zuzug internationaler Galerien ablesen. Nach Hauser & Wirth, Esther Schipper, Peter Kilchmann haben seit diesem Herbst auch der in Köln residierende Thomas Zander, die Basilianer Mendez Wood und die Londoner Händler Stuart Shave und Moretti einen Stützpunkt in der Seine-Stadt eröffnet. Der Brexit hat diese Entwicklung beschleunigt, obwohl Händler wie Fabrizio Moretti betonen, dass die Prominenz von Paris noch nicht die Position Londons als Zentrum der Kunstwelt überrunden kann.

Artcurial verzeichnete 5,7 Millionen Euro für eine Ölskizze zu einem mythologischen Sujet von Jean-Honoré Fragonard. Foto: Artcurial

Die Pariser Auktionshäuser bringen immer wieder Millionenwerke unter den Hammer. Neben dem Auktionskonglomerat Hotel Drouot, das den Mittelmarkt bedient, kommen auch Häuser wie Piasa, die im ersten Halbjahr 32 Millionen Euro umsetzten, und Artcurial zum Zuge. Letzteres ist auf Automobile, Design und zeitgenössische Kunst spezialisiert und erzielte im November auch für Altmeistergemälde Spitzenpreise, allen voran 5,7 Millionen Euro für eine Ölskizze zu einem mythologischen Sujet von Jean-Honoré Fragonard. Artcurial verzeichnet mit erzielen 217 Millionen Euro Umsatz sein bestes Jahresergebnis.

Den höchsten Pariser Umsatz allein mit einer einzigen Versteigerung machte Christie’s. Die nur 63 Lose umfassende Auktion „Avantgarde(s)“ spielte im Oktober 62 Millionen Euro ein. Davon entfielen 20,7 Millionen Euro auf das Miro-Gemälde „Femmes, lune, étoiles“.

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Mit Blick auf die deutschen Auktionen dieses Jahres lässt sich kaum Abschwächung erkennen. Der Gesamtumsatz der sechs führenden Häuser liegt, auf deren eigenen Angaben fußend, bei 289 Millionen Euro. Das zeigt bei primär deutschem Zuspruch in diesen Versteigerungen, dass es hierzulande einen treuen Käuferstamm gibt.

Global gesehen zeigt sich in diesem Jahr der Beruhigung, dass die Spekulation abgeflaut ist und dass jetzt ein gesundes Preisbewusstsein zählt. Auf den Messen stagnierte das Wachstum. Verkäufe wie der eines Philipp-Guston-Gemäldes für 12,6 Millionen Dollar bei der Galerie Hauser & Wirth auf der Art Basel Miami Beach sind schon die Ausnahme. Aber in den niedrigeren Preisregionen der Alten und Neuen Kunst und in den Luxussektionen Automobile, Handtaschen, Uhren, Schmuck und Wein gibt es keine Absatzprobleme.

Mehr: Jahresbilanz Christie’s: Zufrieden trotz Umsatzrückgang

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