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KunstmesseArtissima in Turin: Profilschärfe durch das Zusammenspiel mit der Stadt

Die „Artissima“ gehört der Stadt Turin. Deshalb kann es sich die Messe leisten, Galeristen mit günstigen Standmieten zu locken. So ist es möglich, Kunst zu überschaubarem Preis anzubieten.Stefan Kobel 02.11.2023 - 16:58 Uhr Artikel anhören

Die Künstlerin Hell Gette mixt in „#MortalKombat“ Elemente analoger und digitaler Bildsprachen. Die 2023 entstandene Arbeit findet sich auf dem Stand von Nagel Draxler.

Foto: Nagel Draxler

Turin. Die Turiner „Artissima“ mit rund 180 Galerien hat ihren Platz in einer Welt der Kunstmessen gefunden, die von zwei übermächtigen Konzernen beherrscht wird. Für mittelgroße Veranstaltungen bietet sie nur wenig Raum zwischen Frieze und Art Basel. „Ich sehe immer noch oder immer mehr das Interesse von Galerien an Messen, bei denen es um einen Diskurs geht“, erklärt Luigi Fassi. Er leitet die Messe in ihrer 30. Ausgabe zum zweiten Mal.

Bei der Artissima gehe es nicht um Bestätigung, sondern um Entdeckungen. „Und das erwarten unsere Sammler auch von uns“, fügt Fassi hinzu. „Darin sehen wir unsere Rolle im Messesystem, dass wir ein Angebot machen, bei dem es um Werke, um Entdeckungen geht.“

Diesen Ruf hat sich die Artissima über Jahre mit Geduld und Hartnäckigkeit erarbeitet. Ein Renommée, das sich auch ihrer Eigentümerstruktur verdankt, denn die Messe gehört der öffentlichen Hand. Daher kann sie sich zahlreiche Formate mit vergünstigten Teilnahmebedingungen leisten.

Die Abteilung „Disegni“ für Zeichnungen und Arbeiten auf Papier gehört zusammen mit zwei anderen kuratierten Sektionen zu den Markenzeichen der Messe. Bei The Drawing Room aus Hamburg sind die feingliedrigen Zeichnungen von Katharina Hinsberg zu sehen, die meist entweder aus fadenförmigen Papierausschnitten oder geprickelten Papierbögen bestehen. Sie wirken so dezent, dass sie kaum zu fotografieren sind. Man muss schon sehr genau hinschauen und sich auf die Werke einlassen. Bei Preisen zwischen 2500 und 4500 Euro lässt sich das durchaus im eigenen Heim bewerkstelligen.

Ani Molnar aus Budapest findet sich zum zweiten Mal hintereinander in dieser Sektion, weil es im letzten Jahr mit einer sehr jungen und preiswerten Position so gut funktioniert hat. In diesem Jahr hat Molnar die schwarzweißen Aquarelle von Radenko Milak dabei. Sie erzählen in architektonisch wirkenden Kompositionen Alltagsszenen, die den Medien und eigenen Beobachtungen entstammen.

Hatten letztes Jahr ausschließlich private Sammler bei Molnar gekauft, hofft die Galeristin nun bei den 3400 bis zu 45.000 Euro kostenden Arbeiten auch auf institutionelles Interesse.

Paloma Proudfoots Keramikskulptur „A fly like you (I)“ soll netto 3900 Euro kosten.

Foto: Soy Capitán, Berlin, Foto: Roman März

Die kuratorische Entscheidung, „Back to the Future“ für wiederzuentdeckende Positionen der 1950er- bis 1980er-Jahre Frauen vorzubehalten, ist eine politische. Die einzelnen Künstlerinnen haben jedoch in den wenigsten Fällen eine politische Agenda. Am ehesten finden sich Bezüge zur gesellschaftlichen Situation bei der Fotografin Zofia Rydet. Sie beschäftigt sich in ihren surrealistisch anmutenden Fotocollagen mit durchaus überzeitlichen psychosozialen Phänomenen.

Die Vintage-Abzüge kosten bei Raster aus Warschau von 1900 bis 8000 Euro netto. Für die Polen ist die Teilnahme in Turin eine Premiere. Auf den großen internationalen Messen dürften Galerien solche Entdeckungen kaum wirtschaftlich anbieten können, weil Standmieten und Nebenkosten so hoch sind.

Ganz zeitgenössisch und entlang des aktuellen Diskurses präsentiert sich die Sektion„Present Future“. Etwa mit der auf den ersten Blick poppig wirkenden, jedoch von Gewalt geprägten Standinstallation aus wandfüllenden Drucken und Videos von Cemile Sahin. Zu finden ist sie bei Esther Schipper aus Berlin für insgesamt 30.000 Euro.

Weniger augenfällig sind die Miniaturen in alten Schmuckkästchen von Curtis Talwst Santiago bei Nir Altman aus München. Die an Wunderkammerobjekte oder neapolitanische Taschenkrippen erinnernden Objekte zeigen eben keine bukolischen oder biblische Szenen, sondern vielmehr apokalyptische. Zum Beispiel überfüllte Flüchtlingsboote in rauer See zu Preisen zwischen 10.000 und 26.000 Euro.

Messe, Stadt, Privatsammlungen und Stiftungen kooperieren

Ein weiteres Merkmal der Artissima ist die hohe Anzahl von in diesem Jahr 68 Solo-Präsentationen. Die Einladung zu „Monologue/Dialogue“ war auch der Auslöser für Soy Capitán aus Berlin für die erstmalige Teilnahme. Zwischen 3900 und 21.500 Euro netto kosten die befremdlichen bestickten Keramikskulpturen der 31-jährigen Paloma Proudfood. Bemerkenswert ist die hohe Anzahl von Einzelausstellungen auch jenseits der geförderten Formate.

Erstmals dabei ist Sies und Höke aus Düsseldorf. Nicht zuletzt sei die Empfehlung der neuen italienischen Mitarbeiterin entscheidend gewesen, erzählt Direktor Daniel Müller. Mit Turin habe man aber schon länger geliebäugelt.

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Die aktuellen Ausstellungen in der Stadt mit Julian Charriere und Julius von Bismarck dürften ebenfalls geholfen haben. Von letzterem stammt auch die preiswerteste Arbeit am Stand, Eine „Blitzrakete“ in 50er-Auflage für 7800 Euro netto. Ansonsten reichen die Preise bis rund 30.000 Euro. Ausreißer nach oben ist ein neues Großformat von Jonathan Meese für 78.000 Euro.

Die enge Verzahnung von Messe, Stadt, Privatsammlungen, Unternehmen und Stiftungen, von denen es eine ganze Reihe gibt, ist ein zentraler Baustein im Gefüge der Artissima. „Mir fällt keine Institution in der Stadt ein, mit der wir nicht zusammenarbeiten“, erklärt Direktor Fassi selbstbewusst. Eine derart vielfältige Verankerung in ihrer Region könnte auch diesseits der Alpen für eine prosperierende Kunstmesse und damit die Kunstszene hilfreich sein.

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