Museumskonzepte: Wie staatliche Museen im Osten Toleranz lehren

Weimar. Bildung ist mehr, als die „Sixtinische Madonna“ zu erkennen, jene Mutterfigur mit den keck nach oben blickenden Engelchen. Auch mehr, als einen Vers aus Goethes Drama „Faust“ zu zitieren. Bildung schließt Geschichte und Politik ein. Deshalb verknüpfen zwei staatlich geförderte Großinstitutionen seit vielen Jahren exemplarisch kulturelle Vermittlung mit demokratischer Bildungsarbeit.
Die Staatlichen Kunstsammlungen in Dresden (SKD) und die Klassik Stiftung Weimar sind in Zeiten, in denen sich rechtspopulistische Haltungen verbreiten und von „Remigration“ fantasiert wird, Bastionen der wehrhaften Demokratie. In beiden Institutionen sind Ausstellungen und Veranstaltungen nie parteipolitisch ausgerichtet. Aber sie treten entschieden ein „für demokratische Grundwerte und beziehen Stellung gegen antidemokratische, antipluralistische und menschenfeindliche Positionen“.
So lautet die „Weimarer Erklärung“. Diese hat die Klassik Stiftung mit zehn weiteren lokalen Bildungsorganisationen schon 2019 unterzeichnet. Denn die historische, politische und kulturelle Bildung unterliegt eben keinem „Neutralitätsgebot“.
„Wir partizipieren an der verfassungsmäßig garantierten Wissenschafts- und Kunstfreiheit unserer liberal-demokratischen Gesellschaft, die uns von politischen Repräsentations- und Offenbarungspflichten entbunden hat“, sagte die Präsidentin der Klassik Stiftung in ihrer Neujahrsrede 2024. „Diese Freiheit nutzen wir“, so Ulrike Lorenz weiter, „um mit unseren Kompetenzen Denkanstöße und Praxisbeispiele so zu vermitteln, dass sich möglichst viele Menschen mit ihren grundverschiedenen Erfahrungen und Erwartungen zum vernunftbegabten Selberdenken und Handeln verführen lassen.“
Lorenz führt den Weltbürger Goethe für die in der Klassik Stiftung gelebte Weltoffenheit und Toleranz an. „Demokratie ist ein Projekt, das jeden Tag durch uns selbst neu gemacht wird. Sie ist nicht geschenkt“, bringt die Präsidentin die Haltung der Klassik Stiftung in einem Radiointerview auf dem Punkt. Um das umzusetzen, führt die Klassik Stiftung neue Formen der Demokratiearbeit ein: Mit dem mobilen, für alle offenen „Co-Labor“ zum Mitmachen etwa, mit der Vortragsreihe „Weimarer Kontroversen“, aber auch mit der fein differenzierten Ausstellung „Bauhaus und Nationalsozialismus.

Immer geht es um „die eigene, leibhaftige Erfahrung und jede Menge fremder Geschichten, die gegen Uniformierung Widerstand leisten“, erläuterte Lorenz beim Neujahrsempfang die Position der Stiftung. Mit ihren Veranstaltungen wolle sie unsere Fähigkeiten trainieren, durch die Kunst Unterschiede zu erkennen.
In der Kunst erkennt auch Marion Ackermann einen Beitrag zur Demokratie. „Kunst ist bedeutungsoffen. Nur sie ist in der Lage, alle Themen in ihrer Komplexität und Widersprüchlichkeit zu veranschaulichen“, sagt die SKD-Generaldirektorin dem Handelsblatt in einem Videotelefonat. „Kunst ermöglicht es, Stellung zu beziehen gegen Polarisierung und Populismus“, so Ackermann. Künstler seien oft selbst Außenseiter gewesen, Kunst berücksichtige Minderheiten, führt sie aus. „Kunst steht für Vielstimmigkeit – wie die Demokratie.“ Und schließlich stifte Kunst einen inneren Zusammenhang. Bestes Beispiel sei der Wiederaufbau der Frauenkirche in Dresden.
Ganz aktuelle, prachtvolle Beispiele, wie Kunst, Natur und Politik Hand in Hand gehen, liefert auch die gerade eröffnete Kinderbiennale der Kunstsammlungen im Japanischen Palais. An ihrer dritten Ausgabe mit dem Titel „Planet Utopia“ waren 130 Kinder in einem Beirat beteiligt. Früh übt, wer sich demokratisch einbringen und den Klimawandel nicht leugnen möchte. Die Kinder haben das Klimathema selbst gewählt.
Buchstäblich einnehmend ist im Japanischen Palais die Rauminstallation „Palace of Potential“ von George Nuku. Der Neuseeländer ist Maori. Er schuf einen bezaubernden Raum mit Federn, Horn, Holz und Kunststoff. Einerseits ist das eine Anspielung auf die Kunst- und Wunderkammer der sächsischen Kurfürsten. Andererseits fragt Nuku, wie wir leben, wie wir mit der uns umgebenden Natur umgehen wollen.
Experimentell und interaktiv sind im Japanischen Palais Jeppe Heins blaue Kreise angelegt. Ackermann: „Kinder dürfen sie mit mimischem Ausdruck füllen. Und sich so ihre eigene Stimmung bewusst machen. Für sich und alle Besucherinnen und Besucher werden sie sichtbar als Individuum.“ Die ganze Ausstellung dreht sich um das Mitgestalten, um die Selbstermächtigung der Kinder.

Unter den Ausstellungen findet die Kinderbiennale viel Zuspruch beim Publikum. Doch es kommt vor, dass Veranstaltungen oder Mitarbeitende verbal attackiert werden. „Wir untersuchen rhetorische Formen des Populismus und der Hassrede“, berichtet Ackermann. „Dazu veranstalten wir Fortbildungen für Mitarbeitende. Das ist eines von mehreren Elementen unseres Konzepts der wehrhaften Demokratie.“
Weil nicht alle Besucherinnen und nicht alle Künstler immer die gleiche Sensibilität einem Reizthema gegenüber haben, moderiert das kritisierte Museum im Konfliktfall eine Aussprache mit den Betroffenen und der Öffentlichkeit. Mal kann Irritation im Gespräch aus dem Weg geräumt, mal muss ein Werk in den Kontext gestellt werden. Wenn aber die Künstlerin politisch außerhalb des Grundgesetzes agiert, wird ihr Werk abgezogen.
Darüber hinaus führen die SKD zur internen Nutzung „eine Datenbank mit Case-Studies zum Umgang mit Grenzüberschreitungen.“ So lernen alle Mitarbeitenden voneinander.
Mit dem basisdemokratischen „Bürgerforum“ in Schloss Pillnitz haben die SKD erkundet, wie sich eher museumsferne Bürgerinnen und Bürger das Museum der Zukunft vorstellen. Das Ergebnis: mehr anfassen, mehr selbst machen, mehr Ehrenamt, erzählt Marion Ackermann begeistert.
Seit ihrer Berufung nach Dresden im Jahr 2016 ist der Kunsthistorikerin die Bedeutung der Gestaltung, des Designs, des Handwerks ein Anliegen. Sachsen hat darin eine jahrhundertealte Tradition, die Forschung aber mit ihrer Fokussierung auf die Disziplinen Malerei und Skulptur ein Defizit. Ein Aspekt kommt für die politisch agierende Generaldirektorin aber noch hinzu: „Gestaltung ist auch Gestaltung von Demokratie und Gesellschaft.“


Kinderbiennale im Japanischen Palais in Dresden bis 30.März 2025; täglich 10 bis 18 Uhr, Montag geschlossen, Eintritt frei
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