Ein Markt in Goldgräberstimmung - Rückblick auf den NFT- Hype im ersten Halbjahr 2021
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NFTsKrypto-Hype: Wo im Kunstmarkt Goldgräberstimmung herrscht
Kunst bekommt über NFTs stärker den Charakter eines Wertaufbewahrungsmittels. Doch die Anzeichen mehren sich, dass der Hype bald endet.
Still aus „Taking the Knee In Solidarity with GAN Paintings“ - eine 3D- Animation mit einer chronometrischen Skulptur, Musik und Sound Design.
(Foto: Francisco Carolinum, Linz)
Wiesbaden Alles, was man über den Hype um Non Fungible Token (NFTs) wissen muss, bringt ein Tweet des Gaming-Podcasters Calvin Wong auf den Punkt: „Ich gehe in eine Galerie und möchte ein NFT eines Gemäldes kaufen. Ich zahle den geforderten Preis und sie drucken eine schicke Quittung aus und geben sie mir. Nebenbei verbraucht der Quittungsdrucker mehr Strom als eine Kleinstadt. Sie behalten das Gemälde. Ich bekomme nur die Quittung.“
Noch herrscht Goldgräberstimmung im Markt für NFTs. Andererseits mehren sich die Zeichen dafür, dass der Bogen bereits überspannt sein könnte. NFTs von Turnschuhen, der Quellcode des Internetprotokolls von Tim Berners Lee und andere Kuriositäten verbinden sich mit dem Schlagwort NFT. Sogar die UEFA macht aus ihrer Trophäe für das schönste Tor der EM ein NFT und behauptet in einer Pressemitteilung, es handele sich dabei um Kunst.
Doch ist eben längst nicht alles Kunst, was unter diesem Schlagwort angeboten wird. Denn zu fast allem lässt sich ein NFT „minten“, also prägen. Letztlich handelt es sich dabei um eine Methode, ein digitales oder physisches Objekt mit einer Blockchain, meistens Ethereum, zu verbinden und damit fälschungssicher und handelbar zu machen.
Laut dem Branchendienst nonfungible.com, der die verschiedenen Handelsplattformen beobachtet, ist Kunst zwar ein größerer Markt als Sport, jedoch nicht einmal halb so groß wie das weite Feld der „Collectibles“. Zu denen zählen auch die pixeligen „CryptoPunks“ von Larva Labs, mit denen allein bisher schon über 400 Millionen US-Dollar umgesetzt wurden, deutlich mehr als mit Kunst.
Christie‘s erlöste allein mit „9 CryptoPunks“ knapp 17 Millionen Dollar. Ausgerechnet mit diesen CryptoPunks begibt sich Sotheby‘s jetzt auf dünnes Eis: Das Auktionshaus hat gerade fünf dieser ursprünglich 24 mal 24 Pixel messenden Digitalbilder ganz klassisch als unikate Drucke auf Papier im Format 40 mal 40 Zentimeter verkauft – zu Preisen zwischen 151.000 und 227.000 Pfund.
Larva Labs „Nine CryptoPunks“
Die banalen Pixelköpfe wurden für fast 17 Millionen Dollar versteigert.
(Foto: Christie’s)
Das Engagement von Christie‘s, Phillips und eben Sotheby‘s auf diesem Gebiet dürfte einiges zur Verwirrung beitragen, denn die Auktionshäuser verweigern bisher eine klare Trennung der unterschiedlichen NFT-Sparten.
Der künstlerischen Produktion und dem Diskurs scheinen NFTs abseits des Medienhypes und der Finanzrallye einen ungeheuren Schub zu verschaffen. Es gehe eben nicht nur ums Geld, glaubt die Kölner Galeristin Priska Pasquer: „Ich sehe in NFTs eine sehr gute Gelegenheit, um Kunst, Fotografie, Video und alles andere, was digital vorliegt, weltweit vernetzt zu diskutieren.“ In einer disruptiven Zeit, wie der aktuellen, sollten Künstlerinnen und Künstler ihrer Meinung nach mehr Beachtung und Gehör finden. „Und das könnte durch den NFT-Markt passieren.“
NFTs im Museum
ist ein Wortspiel. Es bezieht sich auf NFTs, die Non-Fungible Token, die seit einigen Monaten Furore machen und oft mit Kunst verwechselt werden. Doch das sind sie nicht zwingend. Im Grunde sind sie nur ein Vehikel, um digitale Kunst in Umlauf zu bringen. Zur Erstellung der dafür benötigten Token und ihrer Speicherung in einer Blockchain existieren zwei Verfahren: der grotesk energieverbrauchende „Proof of Work“ und der immer beliebtere „Proof of Stake“. Mit „Proof of Art“ zeigt das Museum Francisco Carolinum in Linz jetzt „Eine kurze Geschichte der NFTs, von den Anfängen der digitalen Kunst bis zum Metaverse“.
der digitalen Kunst allerdings gar nicht. Das zeigt vor allem der physische Ausstellungsraum in Linz auf. Der Physiker und Science-Fiction-Autor Herbert W. Franke beschäftigte sich ebenso wie der bereits 2006 verstorbene südkoreanische Videokünstler Nam June Paik oder die amerikanische Künstlerin und Theoretikerin Lynn Hershman Leeson schon in den 1970er-Jahren mit der digitalen Welt.
noch ihre Zertifizierung oder Präsentation in digitalen Alternativwelten sind neu. Sie haben im Gegenteil eine lange Geschichte. Mit dem Erfolg der NFTs in der Popkultur und der Spekulationswelle ist das Wissen darum allerdings nicht in gleicher Weise verbreitet worden. Die Ausstellung in Linz und im Metaversum rückt jetzt einiges zurecht und dürfte vielen physischen und digitalen Besuchern NFTs in einem anderen Licht erscheinen lassen (bis 15.9.).
Auch der Berliner Galerist Johann König sieht den NFT-Boom als Chance: „Digitale Kunst gibt es seit vielen Jahrzehnten, der Hype um NFTs hat dazu geführt, dass digitale Kunst neben Malerei, Skulptur, Fotografie und Video rückt. Es handelt sich nicht um eine neue Ausdrucksform, sondern um eine Nische, die jetzt vom breiten Publikum entdeckt wird.“
Auf den einschlägigen Handelsplattformen wie Nifty Gateway und SuperRare kauften nicht traditionelle Kunstsammler, sagt König, sondern die Fans der Künstler, die über soziale Medien groß geworden sind sowie Angehörige der Tech-Branche, die einen anderen Zugang zur Kunst haben. „Diese neuen Sammler:innen sind Teil der NFT-Community auf Twitter. Sie stehen in direktem Kontakt und Austausch mit den Künstler:innen, deren Werke sie auf den NFT-Marktplätzen in Auktionen ersteigern.“
Hier sieht Johann König Chancen für den Kunstmarkt, aktiv zu werden. „Und sich an eine neue Generation Sammlerinnen und Sammler zu wenden, die großes Interesse an Neuem haben.“
Damien Hirst
Das Projekt „The Currency“ besteht aus Prints auf Papier und NFTs in einer gemeinsamen 10.000-Auflage. Dabei handelt es sich um eine hochaufgelöste JPEG-Datei, mit Hologramm und weiteren Informationen. Zum NFT gehören aber auch die originalen Arbeiten auf Papier.
(Foto: VG Bild-Kunst, Bonn 2021)
Die Berliner Galeristin Saskia Draxler von der Galerie Nagel Draxler ist gespannt: „Interessant ist wie oder ob diese Technik die ästhetische Wahrnehmung und die Kunst strukturell verändern können, beziehungsweise neue Möglichkeiten zu den herkömmlichen Genres der Malerei Skulptur, Installation, Medienkunst hinzufügen.“ Der Kunstmarkt hingegen unterscheide sich nicht von anderen Märkten: „Für den Markt ändert sich nicht viel. Der Markt hat keine Gefühle und oft auch wenig Verstand.
Gehandelt wird, was geht, auch auf dem Kunstmarkt. Das schnelle Aufspringen von Christie‘s etwa auf eine durch und durch kindische und zudem politisch fragwürdige Position wie Beeple zeigt das gut.“
Damien Hirst hat es schon immer verstanden, mit dem Markt und seinen Strukturen zu spielen. Sein Projekt „The Currency“ besteht aus zwei Teilen: Lackpunkte auf Papier und NFTs in einer gemeinsamen 10.000-Auflage. Es handelt sich zunächst um eine hochaufgelöste JPEG-Datei, mit Hologramm und weiteren Informationen.
Zum NFT gehören aber auch die originalen Arbeiten auf Papier. Nach einem Monat muss sich der Käufer entscheiden, ob er das NFT für das physische Werk eintauscht. Er kann nur eines behalten. Werde das NFT nach einem Jahr nicht eingetauscht ist, wird die Papierarbeit zerstört. Wählt der Käufer das physische Werk, wird das NFT vernichtet.
Das ist insofern interessant, als sich beides im Prinzip nicht ausschließt – ein NFT kann ein physisches Kunstwerk zertifizieren, während das, was gemeinhin als NFT bezeichnet wird, in diesem Fall dann ein auf der Blockchain zertifiziertes JPEG ist. Hirst dürfte es wohl eher um die Frage gehen, ob die Käufer für 2000 Dollar ein digitales oder Werk auf Papier wollen – und wie sich auf dem Sekundärmarkt die Preise für beides entwickeln.
Rüdiger Weng schaut mit den Augen des Kaufmanns auf den Kunstmarkt und das neue Phänomen. Seine Weng Fine Art AG ist sowohl im B2B wie im Endkundengeschäft tätig, unter anderem mit Editionen von Jeff Koons und Damien Hirst. Sie wird an der Börse mittlerweile mit über 100 Millionen Euro bewertet.
Wengs Urteil: „Der wesentliche Vorteil der ‚Verbriefung‘ von Kunst in Form von NFTs – und in der weiteren Folge die mögliche Fraktionalisierung – ist, dass man damit ein heterogenes Produkt homogenisieren und ein illiquides Gut liquide machen kann.“ So werde Kunst auch leichter investierbar. Als Folge daraus wird nach Wengs Einschätzung „erheblich mehr Liquidität in den Kunstmarkt fließen und die Preise werden sich deutlich nach oben bewegen.“ Durch den Fraktionalisierungs-Prozess könne jeder Miteigentümer von hochwertigen Kunstwerken werden.
Die Stückelung und Verbriefung von Kunstwerken zu Investmentprodukten kann man für Teufelszeug halten oder für ein Instrument zur Demokratisierung des Kunstmarkts. Ähnlich segensreich seien Bitcoin, Ethereum & Co. für die Finanzwelt, behaupten die Apologeten der Kryptowährungen. Allen Blockchain-basierten Anwendungen ist eines gemeinsam: ihr Stromverbrauch.
Miner drohen mit Putsch
Allein Bitcoin verbraucht Schätzungen zufolge so viel Strom wie die Niederlande. Bei Ethereum, der Blockchain, an die die meisten NFTs andocken und dem dazugehörigen Coin Ether ist der Stromverbrauch nicht wesentlich niedriger. Durch eine Umstellung im Miningprozess von „Proof of Work“ zu „Proof of Stake“ soll sich das zwar ändern. Doch einen konkreten Termin gibt es nicht, und die Miner, die mit Rechenleistung Geld verdienen, drohen mit Putsch.
Vorerst bleibt es dabei: Das Erstellen und Anbieten eines einzigen NFT erzeugt laut dem Online-Rechner carbon.fyi so viel CO₂ wie ein Flug nach Mallorca. Das ist nicht NFT-spezifisch, es betrifft die gesamte Kryptosphäre.
Allerdings haben die NFTs gegenüber physischen Kunstwerken Kostenvorteile bei Lagerung und Transport. Das Thema Versicherung ist hingegen etwas komplexer. „Die Vorteile für den Sammler liegen darin, dass er eigentlich außer dem Cyber- und dem Spekulationsrisiko keine nennenswerten Risiken hat“, erklärt der Kölner Kunstversicherungsmakler Stephan Zilkens.
„Die klassischen Risiken, wie Feuer, Einbruch-Diebstahl oder Leitungswasser existieren bei NFTs nicht. Serverfarmen können brennen, aber selbst dann ist die Gefahr überschaubar, weil der NFT weder lokal noch technisch an einer Stelle existiert.“ Bisher sind Kunstversicherungen Allgefahrenversicherungen – also alle Schäden, die nicht ausgeschlossen sind, sind versichert.
Zilkens warnt jedoch: „Versicherer schließen Cyberrisiken zunehmend aus den Kunstpolicen aus. Eigenständige Produkte gibt es nur außerhalb der klassischen Kunstversicherung.“
Für Unternehmer Rüdiger Weng ist jedenfalls klar: „Es wird weiter auch traditionell gesammelt werden. Aber die Zukunft des Kunstmarktes wird der Finanzmarkt sein und die Investoren, die sich dort tummeln. Kunst wird, über die NFTs, immer mehr den Charakter eines Wertaufbewahrungsmittels bekommen.“
Werden Käufer, die jeweils 140.000 Euro für eine von neun Kopien eines der zahlreichen digitalisierten Meisterwerke aus den Florentiner Uffizien bezahlt haben, ihren Erben wirklich eine Freude machen? Wird Beeples 69 Millionen Dollar-Digitalcollage jemals eine Rendite abwerfen? Wird es in 100 Jahren noch irgendjemanden interessieren, wer das „Original“ eines CryptoPunks besitzt? Das ist alles sehr fraglich. Doch König ist zuzustimmen: „NFTs gehen so wenig wieder weg wie das Internet.“
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