Buchkritik: Thomas Geisel: Am Grenzgang zwischen Politik und Wirtschaft gescheitert

Der Ex-Oberbürgermeister von Düsseldorf gibt in seinem Buch tiefe Einblicke in die Politik.
München. Anders als in den USA sind hierzulande Wechsel von der Wirtschaft in die Politik und wieder zurück sehr selten. Noch seltener ist, dass jemand über solche Grenzerfahrungen schreibt, über die beiden grundverschiedenen Welten, in der „Return on Investment“ mal hohe Euro-Summen bedeutet, mal ein hohes Wählervotum.
Thomas Geisel, Sozialdemokrat von zu Hause aus, hat den politischen „Return“ nicht geschafft. Nach nur sechs Jahren wurde der gebürtige Schwabe als Düsseldorfer Oberbürgermeister nicht wiedergewählt. Ein Debakel. Man fragt sich als Betroffener da natürlich, wer schuld ist. Und glaubt, aus therapeutischen Gründen täte eine Niederschrift gut.
Und so kann ein größeres Publikum den „Grenzgänger“ beim Erinnerungs-Striptease erleben, bei schonungslosen, detail- und auch selbstverliebten Erzählungen, die tiefe Einblicke geben in die Politik. Hier schreibt einer, der auszog, das Fürchten zu lernen. Und der doch schon direkt nach der Wende für die SPD aktiv war.
Jurist Geisel wollte aber nicht als „Political Junkie“ enden, sondern ging Ende 1994 zur Treuhandanstalt, der Abwicklungsbehörde der DDR-Wirtschaft, und kam 2000, nach einem Zwischenspiel beim US-Skandalkonzern Enron, zu Eon.
Insgesamt fühlte er sich 2014 nach seiner sensationellen Wahl zum OB gut gerüstet für den „Stadtkonzern“ Düsseldorf. Aber dann kam die Praxis. Sie hielt schöne Stunden für den Marathonläufer und Flötenspieler bereit, der volkstümlich im Karneval aufblühte, der Firmen und Start-ups heranholte, Wohnungen und Fahrradwege bauen ließ. Sein Bilanzbuch macht aber auch deutlich, wie sehr Geisels präsidialer Führungsstil ihn zusehends von allen entfremdete, die in einer Kommune dem Kleineren verhaftet sind und das Räderwerk der Macht repräsentieren.
Er versteht all die Kritiker nicht, die an Renommierprojekten mäkeln: am Start des Rad-Events Tour de France, 2017 für acht Millionen Euro Verlust aus dem Stadtsäckel organisiert; an einem von ihm angekündigten, von der Stadtpolitik wieder einkassierten Konzert von Ed Sheeran auf Parkplatz „P1“ vor der Messe, für das 94 Bäume hätten gefällt werden müssen; an dem für die Coronaregeln werbenden Video des wegen Antisemitismus aufgefallenen Rappers Farid Bang, das nach kollektivem Protest aus den Social-Media-Kanälen der Stadt verschwand.



Auf- und Abstieg eines Abenteurers: Ungeachtet der diplomatischen Lobesbekundungen nach allen Seiten ist das Buch im Schlusskapitel eine Abrechnung mit der aktuellen Politik.
Quereinsteiger in die Politik sind also gewarnt. Grenzgänger Geisel arbeitet heute als Anwalt. Die Ambition, in Köln OB zu werden, zerschlug sich. Er hat kräftig unterschätzt, dass im OB-Amt, seinem „Traumberuf“, anders als in der Wirtschaft, keine in Euro und Cent quantifizierbare „Bottom Line“ über Erfolg oder Nicht-Erfolg entscheidet, „sondern das, was die öffentliche und veröffentlichte Meinung daraus macht“. Das schreibt er selbst. Man nennt es Politik.
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