Gastbeitrag zur Coronakrise: Solidarität ist das Gebot der Stunde

Der ehemalige Bundeskanzler regt Nothilfen aus Privatmitteln an, den die Bundesregierung koordiniert.
Unser Land steht vor den größten wirtschaftlichen Herausforderungen seit Jahrzehnten. Wir spüren: Deutschland braucht eine Woge der Solidarität, um die gesundheitlichen, wirtschaftlichen, sozialen und gesellschaftlichen Folgen der Corona-Pandemie zu bewältigen. Die Bundesregierung wie auch die Länder und Kommunen haben in den vergangenen Wochen gleichermaßen entschlossen wie umsichtig gehandelt und die richtigen Entscheidungen getroffen. Mit sehr umfassenden Hilfsmaßnahmen werden Unternehmen, Kliniken und Kleinunternehmer unterstützt.
Doch der Staat kann diese historische Aufgabe nicht allein bewältigen. Millionen Menschen leben Solidarität vor, indem sie ehrenamtlich helfen oder in sogenannten systemrelevanten Bereichen ihren Dienst tun – als Ärzte, Sanitäter, Speditionsfahrer oder Pflegekräfte, aber das gilt natürlich nicht minder für die, die in den Supermärkten Regale auffüllen oder an der Kasse sitzen.
Zusätzlich zu den Anstrengungen des Staates müssen wir auch auf Unterstützung von Unternehmen setzen, oder genauer: Unternehmern. Denn auch sie können und sollten einen Beitrag zur Bewältigung der Krise leisten - zum Beispiel durch die Produktion von Masken, die derzeit fehlen, durch die Entwicklung digitaler Lösungen, vor allem zur Unterstützung des Gesundheitswesens.
Es gibt jetzt viele Bereiche, in denen der Staat die kreative Hilfe von Unternehmen und privaten Initiativen braucht – auf Basis der Freiwilligkeit. Gerade jetzt sollten wir daher nach Wegen suchen, wie wir die Solidarität und Kreativität der Menschen in unserem Land bündeln können.
Ein Hilfsfonds wie in der Flutkatastrophe
Zum Beispiel durch die Einrichtung eines nationalen Fonds, von der Bundesregierung organisiert und beaufsichtigt, aber vorrangig gespeist aus privaten Spenden. Dieser Fonds könnte schnell und unbürokratisch Menschen unterstützen, die unverschuldet in materielle Not geraten sind, oder dringend notwendige Güter finanzieren – Schutzkleidung, Atemschutzmasken, wenn notwendig auch zusätzliche Beatmungsgeräte.
Ein ähnliches Konstrukt hatte die Bundesregierung zur Zeit meiner Kanzlerschaft während der Flutkatastrophe im Jahr 2002 eingerichtet. Damals half ein Sonderfonds schnell und unbürokratisch Menschen, die ihr Hab und Gut durch diese Naturkatastrophe verloren hatten. Kurzum: Gelebte Solidarität ist auch jetzt das Wort der Stunde und sollte unser persönliches Handeln bestimmen. Die vielen Beispiele dieser gelebten Solidarität im Alltag machen Mut.
Jetzt geht es darum: Wir müssen die Kraft der Eigenverantwortung und Solidarität entfalten. Ein Fehler wäre es, diese jetzt zu schwächen, indem man eine von parteitaktischen Überlegungen geprägte Debatte darüber führte, ob Steuererhöhungen oder eine Vermögensabgabe der richtige Weg sein könnten, um Unternehmer oder Wohlhabende in die Verantwortung zu nehmen. Zunächst steht die akute Abwendung einer existenziellen Notsituation für unser Land im Vordergrund, ohne aber dabei die Rückkehr zur gesamtwirtschaftlichen Stärke zu schwächen.
Diese Herausforderungen müssen wir jetzt gemeinsam als Europäer meistern. Daher bin ich überzeugt, dass wir in einem weiteren Schritt ein gemeinsames europäisches Schuldeninstrument brauchen. Das können Euro-Bonds, eine gemeinsame und einmalige Krisenanleihe oder über den EU-Haushalt finanzierte Bürgschaften sein.
Bewusstsein für gemeinsame Lösung globaler Probleme
Entscheidend ist, dass eine langfristige Hilfe für die notleidenden Nachbarstaaten und ihre Bevölkerung ermöglicht wird. Denn Italien oder Spanien sind unverschuldet von dieser Pandemie in besonderer Härte getroffen worden - mit verheerenden wirtschaftlichen und sozialen Folgen.
Wenn es ein Land gibt, das Verständnis für eine paneuropäische Unterstützung zur schnellen Überwindung dieser existenziellen Krise haben sollte, dann ist dies Deutschland.
Diese Pandemie ist eine Herausforderung, die kein Land der Welt allein meisten wird. Aber vielleicht führt diese weltumspannende Krise zu einem Umdenken und zur Einsicht, dass es sich um eine Herausforderung handelt, die nur gemeinsam gemeistert werden kann. Und das hat die Bekämpfung der Covid-19-Seuche mit der Lösung anderer globaler Probleme wie dem Klimawandel, der Rückkehr des Hungers oder der Unterentwicklung gemein.






Statt Konfrontation brauchen wir in den internationalen Beziehungen mehr Kooperation. Wenn das in Washington, Moskau, Peking und Brüssel nicht verstanden wird, wäre dies ein schlechtes Zeichen für unsere Zukunft.





