Prüfers Kolumne: Die Mad Men werden zum Wolf of Wohnzimmer

Tillmann Prüfer ist Mitglied der Chefredaktion des „Zeit-Magazins“.
Ich habe in der „New York Times“ gelesen, dass es in den USA einen Kampf um Büroplätze gibt. Der dreht sich darum, Leute wieder ins Büro zu bekommen. Das mit der „Return to Office“-Strategie klappt offenbar weniger gut als gedacht. Laut „New York Times“ erklären 40 Prozent der Angestellten, sie würden ihren Job kündigen, wenn man sie dazu zwingt, ins Büro zurückzukehren.
Das ist kaum zu glauben. War nicht das Büro die Werkstätte des amerikanischen Traums? Der Ort, wo man alles werden kann, wenn man es nur wirklich will? Wo man am besten 150 Stunden in der Woche verbringt, um richtig, richtig Karriere zu machen? Wie wäre ein sich auf die Brust klopfender Film wie „Wolf of Wall Street“ ohne die Kapitaltempel der Wall Street möglich gewesen? Wie hätte eine Serie wie „The Office“ ohne Office funktionieren sollen? Wie hätte man „Mad Men“, die Serie über die Werbeindustrie der 60er-Jahre, drehen können, wären nicht alle diese Männer im Büro gewesen?
Vielleicht sind die Büroklischees, die diese Serien und Filme bedienen, auch Teil des Problems. Denn wie die fiktiven Büros aus den Drehbüchern, vollgestopft mit fragwürdigen Charakteren und Verhaltensweisen, so ist auch das reale Büro offenbar kein sonderlich starker Sehnsuchtsort mehr. Es werden sogar „Return-to-Office“-Berater, kurz RTO-Berater, angestellt. Und solche warnen davor, einfach Druck auf die Angestellten auszuüben. Denn das führe nur zu einer Rebellenhaltung.
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Als Beispiel dient die Sowjetunion, die in den 50er-Jahren verhindern wollte, dass die Jugendlichen US-Musik hören, etwa von Miles Davis. Natürlich wurde Jazz in der UdSSR umso populärer.
Die Rebellen von heute reagieren schon auf die Aufforderung, dreimal in der Woche im Büro zu sein, mit Protest und Widerstand. In manchen Betrieben, die ihre Leute zurückbeordert haben, brach darauf die Produktivität ein. Die Leute saßen ihre Bürozeit ab, arbeiteten aber viel weniger als zu Hause. Andere ignorieren solche Anweisungen einfach.

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Der Königsweg zurzeit ist für die Unternehmen, die Office-Zeit mit allen möglichen Incentives und Events zu versüßen. An einem Tag werden Kekse für alle bestellt, an einem anderen gibt es eine Office-Party. Die Strategie ist, dass Angestellte, wenn sie sich öfter ungezwungen sehen, sich auch schätzen, sogar mögen lernen und daher freiwillig öfter ins Büro kommen.

Allerdings ist die Frage, wen man so sehr mögen kann, dass man ihn praktisch jeden Tag sehen möchte. Das ist ja oft nicht einmal bei Ehepartnern der Fall. Das müssten also schon sehr, sehr tiefe Verbindungen sein. Da ist auch die Frage: Will man das denn am Arbeitsplatz? Sollen die Leute das nicht lieber zu Hause machen?
Vielleicht ist das Büro tatsächlich nicht zu retten. Vielleicht werden künftige Generationen eine Serie wie „Mad Men“ gar nicht mehr verstehen, mit ihren Vorzimmerdamen und zigarettenverqualmten Whisky-Höhlen und dem unverhohlen zur Schau gestellten Alltagssexismus. Und vielleicht schauen diese Generationen dann „The Home Office“ und „Wolf of Wohnzimmer“ – vielleicht auch während der Arbeitszeit.
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