Geoeconomics: Deutschland steht vor historischen Weichenstellungen

Verfolgt man den anlaufenden Bundestagswahlkampf der demokratischen Parteien, so drängt sich einem der Eindruck auf, dass es ein Wahlkampf wie jeder andere ist. Wirtschaft, Renten, Arbeitsplätze, Gesundheit – all dies sind die Themen, die den aktuellen Bundestagswahlkampf prägen.
Die Priorität innenpolitischer Themen spiegelt sich auch in den bereits vorliegenden Wahlkampfprogrammen der Parteien wider. Da rangieren die Kapitel zur internationalen Politik wahlweise an vorletzter oder gar an letzter Stelle.
Dabei wird auf die nächste Bundesregierung eine immense Aufgabe zukommen, die sich – wenn man es einmal in einen größeren historischen Kontext setzt – durchaus mit den zwei wichtigsten Umbruchphasen der neueren deutschen Geschichte vergleichen lässt.
Deutschland am Scheideweg der Wirtschaftspolitik
So wie Konrad Adenauer 1949 und Helmut Kohl 1990 die Amtsgeschäfte innehatten, als das internationale System sich fundamental veränderte und sie gleichzeitig wichtige innenpolitische und wirtschaftspolitische Entscheidungen zu treffen hatten (Wiederaufbau und Wiedervereinigung), so wird auf den nächsten deutschen Bundeskanzler die Aufgabe zukommen, eine Alternative zum traditionellen deutschen Wirtschaftsmodell der letzten 30 Jahre zu finden.
Denn die Zeiten, in denen der deutsche Reichtum durch die Trias billiges Gas aus Russland, Absatzmärkte in China und das alles unter dem sicherheitspolitischen Schutzschirm Amerikas erwirtschaftet wurde, gehen unweigerlich zu Ende. Und das alles in einem internationalen System, das sich gerade in einem fundamentalen Wandel befindet.
Auf der einen Seite ein imperialistisches Russland, dessen erklärtes Ziel die Zerstörung der europäischen Sicherheitsordnung ist; auf der anderen Seite ein politisch und ökonomisch immer aggressiver auftretendes China, das bereits angekündigt hat, im Jahr 2035 in zehn aus seiner Sicht strategischen Industriesektoren unabhängig zu werden; und nicht zuletzt eine neue US-amerikanische Administration, bei der man nicht weiß, wie zuverlässig sie noch bereit sein wird, die europäische Sicherheit zu garantieren und ob sie ökonomisch die EU noch als Partner oder primär als Konkurrenten erachtet.
Und auch hier muss eine zukünftige Regierung ihre Position nicht nur finden, sondern Entscheidungen treffen, wie sie diesen Prozess mitgestalten will und wie sie Deutschlands Einfluss in der Welt aufrechtzuerhalten oder gar auszubauen gedenkt.
Regierung steht vor fundamentalen Entscheidungen
Wenn ich die gegenwärtige Phase mit der Zeit Adenauers oder Kohls (nach 1989) vergleiche, heißt das nicht, dass andere Bundeskanzler in der Geschichte der Bundesrepublik Deutschland keine schwierigen und wichtigen Entscheidungen zu treffen hatten (Brandts Ostpolitik, Schmidts Währungsschlange und Merkels Euro-Rettung), aber keiner dieser Bundeskanzler war in historischen Umbruchsphasen im Amt, die grundlegende Entscheidungen über den innen- wie außenpolitischen Kurs des Landes erforderten.
Die nächste Regierung wird aber eine Regierung, die in innen- wie auch außenpolitischen Umbruchzeiten fundamentale Entscheidungen für die Rolle Deutschlands in der Welt, aber auch für die deutsche Innenpolitik zu treffen hat, ja treffen muss. Und insofern befindet sie sich in einer ähnlichen Situation wie Konrad Adenauer, als er die Westbindung und die Soziale Marktwirtschaft im neuen deutschen Staat durchsetzte. Aber auch Helmut Kohl musste die innere Einheit schaffen und gleichzeitig dafür Sorge tragen, dass sich das wiedervereinte Deutschland fester in Europa integrierte und sich an den weltpolitischen Wandel nach dem Ende der Blockkonfrontation anpasste.
Für die Bundesrepublik ist die Betonung des Zusammenhangs zwischen Innen- und Außenpolitik evident. Selbst wenn man in Zukunft noch mehr Geld in die Streitkräfte stecken sollte: Die Bundesrepublik wird nie eine führende Militärmacht werden, weil sie es nicht werden will. Sie muss aber mehr für ihre und die europäische Sicherheit leisten. Der Einfluss Deutschlands in Europa und in der Welt jedoch wird auch zukünftig primär aus seiner wirtschaftlichen Größe und Kraft, dem Fundament ihres globalen Einflusses erwachsen.
Ähnlich wie es die ausscheidende Biden-Administration in ihrer 2022 veröffentlichten Nationalen Sicherheitsstrategie formulierte, gilt auch für die nächste Bundesregierung: Um weltpolitisch einflussreich zu bleiben, müssen die Fundamente deutscher Macht im Inneren erneuert werden.





Auf die nächste Bundesregierung und insbesondere auf ihren Kanzler kommen also große Aufgaben zu. Es bleibt zu hoffen, dass sie diese erkennen und dementsprechend handeln wird.
Mehr: Hinter Trumps Fünf-Prozent-Forderung für mehr Nato-Ausgaben steckt klares Kalkül







