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Kolumne „Kreative Zerstörung“ Von Benz bis Bürokratie – Warum der Staat dringend Reformen braucht

Carl Benz’ Erfindung revolutionierte die Mobilität. Während sich Autos weiterentwickelten, scheint der deutsche Staat festgefahren. Deutschland braucht mutige Reformen, meint Miriam Meckel. 21.05.2024 - 19:06 Uhr
In dieser Kolumne schreibt Miriam Meckel 14-täglich über Ideen, Innovationen und Interpretationen, die Fortschritt und ein besseres Leben möglich machen. Foto: Klawe Rzeczy

Als Carl Benz 1886 das Automobil mit Verbrennungsmotor erfand, setzte er den Grundstein für einen weltweiten Umbruch: die demokratische Revolution der Mobilität. Nicht jede Familie, die mit dem eigenen Auto in den Urlaub gefahren ist, wird ihm im Geiste persönlich gedankt haben. Zeit vergeht, Erinnerung verblasst, und zudem hat sich seit 1886 so viel verändert, dass man das heutige Auto kaum mehr mit dem damaligen Gefährt übereinanderbringen kann.

Die Motorleistung hat sich von damals 0,75 PS auf heute an die 500 vervielfacht. Früher wurde nicht geschaltet, heute sind wir längst wieder darüber hinaus mit Automatikgetrieben und Fahrassistenzsystemen. Und wenn die früheren Karosserien aus Holz und Stahl gefertigt waren, nutzen wir heute haltbare Verbundwerkstoffe.

Die Fabrik, in der das Gefährt gefertigt wird, hat sich von einem Ort der Handarbeit zu einem der hochleistungsfähigen Industrieroboter gewandelt. Beträte Carl Benz heute ein Mercedes-Werk, er würde sein Werk nicht wiedererkennen.

Die Grundidee der Mobilität ist geblieben, aber ihre Umsetzung hat sich über die Jahrzehnte radikal gewandelt. Wie der Automobilindustrie ging es vielen anderen Branchen, den Banken, der Luftfahrt, der Energiewirtschaft, Medizintechnologie, Pharmazeutik und Telefonie.

In den meisten Branchen und Unternehmen ist über eine Zeit von mehreren Jahrzehnten kein Stein auf dem anderen und kein Glaube unerschüttert geblieben. Die grundsätzliche Fortschrittsidee blieb, aber ihre unternehmerische Umsetzung hat sich radikal verändert. Unternehmen haben immer wieder prüfen müssen, ob Geschäftsmodell, Strukturen und Prozesse den neuen Bedingungen standhalten.

Kolumne „Kreative Zerstörung“

Das Geschäft mit dem Untergang blüht weiter

Das ist in unserer Welt des kontinuierlichen Fortschritts nur an einer Stelle anders – dem Staat. Die Bundesrepublik Deutschland feiert in diesem Jahr 75 Jahre Grundgesetz – eine Verfassung, auf deren Ewigkeitswert wir mit guten Gründen stolz sind.

Die „Ewigkeitsklausel“ in Artikel 75, Absatz III Grundgesetz sagt, dass Deutschland für immer ein Bundesstaat ist, in dem demokratische Wahlen abgehalten werden, die Gewaltenteilung gilt und die Menschenwürde unantastbar ist. Diese unabdingliche Klärung war ein enormer historischer Fortschritt, der bis heute wirkt.

Die Geschichte hat die Verfassungsväter und (wenigen) -mütter gelehrt, dass man vorsichtig sein muss mit dem Vertrauen in die menschliche Vernunft und ihre politische Verlässlichkeit.

Zwei Weltkriege und der furchtbare industrialisierte Vernichtungszug der Nationalsozialisten gegen die Juden und Minderheiten sind ein unwiderruflicher Grund für die Ewigkeitsklausel im Grundgesetz. Sie macht es schlicht unmöglich, die Demokratie durch einen vermeintlichen demokratischen Entscheidungsakt abzuschaffen. Wofür wir gerade heute wieder mal sehr dankbar sein können.

Und doch darf man auf dem Boden des Grundgesetzes die Frage stellen: Warum kann ein Staat 75 Jahre lang unreformiert bestehen, ohne dass es Probleme gibt? Die Antwort lautet: Er kann es nicht.

Bürokratie wuchert, Infrastruktur stagniert

Da ist zum einen die ausufernde und immer weiter wachsende Bürokratie, die vor allem die Wirtschaft zu Recht beklagt. Seit Jahrzehnten verspricht jede Bundesregierung, hier Abhilfe zu schaffen, doch das gelingt nie.

Nun soll wieder ein neues „Bürokratieentlastungsgesetz“ Verbesserungen bringen und dem „Bürokratie-Burn-out“ vorbeugen, den das Justizministerium selbst anführt. Steuerbelege müssen nun statt zehn nur noch acht Jahre aufbewahrt werden. Genau das ist das Problem: Wir reformieren minimal graduell, aber nie richtig.

Da sind die mangelnden Infrastrukturinvestitionen, die sich über die vergangenen Dekaden zu einem Negativsaldo in staatlicher Leistungsfähigkeit aufgetürmt haben. Während die Anwendungen der Künstlichen Intelligenz ihren Siegeszug antreten, hat Deutschland in vielen Bereichen noch immer keine flächendeckende und funktionierende digitale Infrastruktur.

Wir reformieren minimal graduell, aber nie richtig.
Miriam Meckel
Kommunikationswissenschaftlerin

Das Alan Turing Institute hat kürzlich für Großbritannien errechnet, dass knapp 150 Millionen repetitive staatliche Verwaltungsaufgaben im Wesentlichen durch KI ersetzt werden könnten. Dadurch ließen sich 1200 Vollzeitstellen pro Jahr einsparen. Bei uns wird zwischen Behörden, man mag es kaum schreiben, noch immer gefaxt.

Und dann ist da der Föderalismus. Als Sicherungsmaßnahme gegen eine bösartige zentralistische Kraft, wie sie mit dem Nationalsozialismus zugeschlagen hat, ist er im Grundgesetz abgesichert. Daran soll man nicht rütteln. Aber eine Reform des Föderalismus ist längst fällig. Diese Versuche hat es gegeben.

Im Sommer 2003 wurde eine Föderalismuskommission unter der Leitung von Franz Müntefering (SPD) und Edmund Stoiber (CSU) eingesetzt, die über die Modernisierung der bundesstaatlichen Ordnung beraten sollte. Sie scheiterte etwa 18 Monate später am Streit über die Bildungspolitik. Die Länder wollten nichts abgeben. Wohin uns das geführt hat, konnten Schülerinnen und Schüler und ihre Eltern spätestens in der Pandemie erleben.

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Deutschland ist in vielen Bereichen erstarrt wie Lehm, den man zu lange in der prallen Sonne hat liegen lassen. Was einmal gedacht war als dauerhafte, aber formbare Konsistenz, fest und doch flexibel, ist zu einem bröckelnden Klotz geworden. Wo andere Länder es schaffen, sich schrittweise zu modernisieren, häufen wir eine Schicht von Regulierung auf die nächste, ohne die Lehmschichten ganz unten abzutragen.

Es bräuchte endlich einmal den Mut, einen richtigen Schwung zu nehmen, um unseren Staat – auf dem Boden des Grundgesetzes – zukunftsfähig zu machen. Vielleicht hören wir ja beim Staatsakt mal Ideen, die nicht nur die Vergangenheit, sondern auch die Zukunft betreffen. Carl Benz hat eben nicht versucht, schnellere Pferde zu züchten. Er hatte den Mut, die dauerhafte Idee der Mobilität demokratisch neu zu denken.

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