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  4. Afghanistan-Krise: Deutsche Minister in der Kritik - organisierte Verantwortungslosigkeit in Reinkultur

KommentarKramp-Karrenbauer und Maas fehlt es in der Afghanistan-Krise an Rückgrat

Die Umstände sind kühl betrachtet für die Verteidigungsministerin und den Außenminister günstig. Wenn alle sich irren, muss der Einzelne keine Verantwortung übernehmen.Thomas Sigmund 17.08.2021 - 16:23 Uhr Artikel anhören

Die Bundesminister befinden sich wegen der Afghanistan-Krise in Erklärungsnot.

Foto: Reuters

Rücktritte sind hierzulande aus der Mode gekommen. Früher war sicher nicht alles besser. Willy Brandt zog aber aus der Guillaume-Affäre die politische Konsequenz, übernahm Verantwortung und trat zurück. Die Justizministerin Sabine Leutheusser-Schnarrenberger bat um ihre Demission, nachdem ihre Partei beim sogenannten großen Lauschangriff eine andere Auffassung vertreten hatte als sie selbst. Der frühere Innenminister Rudolf Seiters quittierte ebenfalls den Dienst nach den Vorfällen um die RAF in Bad Kleinen.

So viel Rückgrat wünschte man sich heute auch von einigen Kabinettsmitgliedern. Heiko Maas, den viele als glücklosesten Außenminister der Bundesrepublik bezeichnen, hat die Lage in Afghanistan vollkommen falsch eingeschätzt, und auch Verteidigungsministerin Annegret Kramp-Karrenbauer befindet sich in Erklärungsnöten, warum beim ersten Evakuierungsflug aus Kabul sage und schreibe nur sieben Menschen ausgeflogen wurden.

Die Amerikaner starteten mit einer völlig überfüllten Maschine aus Kabul. Es war ihnen egal, ob  der Flieger überlastet war oder nicht. Man stelle sich dagegen den leeren Raum in dem Bundeswehr-Airbus vor.

Die deutschen Soldatinnen und Soldaten müssen es nun wieder richten. Ihnen ist kein Vorwurf zu machen. Das Auswärtige Amt bestimmt offenbar, wer in die Maschine kommt.

Dem Außenminister war es vor allem wichtig, auf Twitter zu verkünden, dass „unter seiner Leitung“ ein Krisenstab tagen würde. Ihm ging es offensichtlich mehr um sein Erscheinungsbild in der Öffentlichkeit als um die Frage, was unternommen werden muss.

Dabei geht es um das Schicksal der Ortskräfte, aber nicht nur um sie. Es geht um viele Menschen, vor allem um Frauen, die abtauchen müssen und aus Furcht vor den Taliban ihre Zeugnisse verbrennen. Sie sitzen in der Falle, und jede Hilfe von außen ist so gut wie unmöglich. Die Taliban gehen von Tür zu Tür. Es ist einfach unvorstellbar, was sich in Afghanistan abspielt.

Zwischen Realpolitik und Zynismus

Maas räumt wie die Kanzlerin freimütig ein, dass es Fehleinschätzungen gab, genauso wie bei den Amerikanern. Politische Verantwortung will niemand übernehmen. Offenbar war allen bewusst, dass die Taliban die Macht in Afghanistan übernehmen. Man ist lediglich über die Geschwindigkeit der Ereignisse erstaunt. Die deutsche Politik schwankt irgendwo zwischen Realpolitik und Zynismus.

Dass Spitzenpolitiker ihre Sessel nicht räumen wollen, liegt in ihrer DNA. Sie haben jahrzehntelang hart dafür gearbeitet, sich an die Spitze zu kämpfen. Da will man nicht aufgeben. Das ist menschlich und gilt nicht nur in der Politik.

Und nüchtern betrachtet kommt für Maas und Kramp-Karrenbauer auch noch Glück hinzu. Denn wenn alle sich irren, muss der Einzelne keine Verantwortung übernehmen. Das ist organisierte Verantwortungslosigkeit in Reinkultur.

Zu einem Rücktritt würde allerdings auch eine Rücktrittsforderung aus der Opposition gehören. Die bleibt aber, zumindest was FDP und Grüne angeht, aus. Das ist der zweite glückliche Umstand für die Saarländer.

Da sich beide Parteien eine Regierungsbeteiligung ausrechnen, mäßigen sie sich und haben offenbar die Parole ausgegeben, nicht die Ablösung zu betreiben. Man möchte die potenziellen Koalitionspartner sechs Wochen vor der Wahl nicht vor den Kopf stoßen. 

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Insgesamt gilt: Das Beharrungsvermögen der Politiker ist gestiegen. Die schnelllebigen sozialen Medien sorgen andererseits mit ihrer Dauerskandalisierung für eine Abstumpfung bei den Bürgern. Sei es bei der Maskenaffäre oder bei der Pkw-Maut. Die Minister haben derzeit eigentlich kaum etwas zu befürchten.

Die ersten 129 Menschen sind von der Bundeswehr aus Kabul ausgeflogen worden. Sie stammen aus 15 Nationen.

Dabei ist es nicht so, dass wegen Afghanistan nicht bereits Minister zurückgetreten wären. Da gibt es Franz Josef Jung, der wegen der Kundus-Affäre zurücktreten musste. Karl-Theodor zu Guttenberg überstand den Kundus-Untersuchungsausschuss nur knapp, obwohl er die Wahrheit bei seinen Aussagen dehnte.

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Entlassen hatte er einen hohen General, der in seiner Ehre zu Recht gekränkt war. Aber zu Guttenberg hatte so viel Kapital verspielt, dass er die Plagiatsaffäre politisch nicht mehr überlebte.

So bitter es auch klingt: Die Bilder aus Afghanistan werden in der breiten Öffentlichkeit bald vergessen sein. Aber viele Bürger wenden sich in diesen Tagen wieder still von der Politik ab. Die alte Floskel, es gebe keine Politikverdrossenheit, sondern eine Politikerverdrossenheit, hat sich erneut bestätigt.

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