Begeisterung, Beweglichkeit, Glaubwürdigkeit Der Weg zum Erfolg – Wie die Machtmenschen von heute ticken
![Politik und Wirtschaft: Die neuen Regeln der Macht Quelle: Getty images/Uwe Beyer [M]](/images/-/21023540/6-format2020.jpg)
Beifall der 1000 Delegierten, ein kurzer Dank der Kanzlerin. Dann sind die Ministerkarrieren von Hermann Gröhe und Thomas de Maizière beendet. „Sie erleben hier Angela Merkel: die pragmatische Verteidigerin des freien Westens“, spottet einer aus dem Umfeld der Kanzlerin auf dem CDU-Parteitag am Montag in Berlin. Die CDU-Chefin musste kalkulieren, welche Namen ihr helfen, den Parteitag hinter sich zu bringen. Gesundheitsminister Gröhe und Innenminister de Maizière gehörten nicht dazu. Gröhe erfuhr die Botschaft ausgerechnet an seinem Geburtstag einen Tag zuvor.
„Schmerzhaft“ seien die Entscheidungen bei Gröhe und de Maizière gewesen, sagt Merkel. „Schmerzhaft“ auch die Abgabe des Bundesfinanzministeriums an die SPD. In letzter Zeit verwendet Merkel oft solche Gefühlsvokabeln, ganz entgegen ihrer Gewohnheit. Offenbar haben ihre Berater Angst, dass sie zu stark als Machtmensch erscheint, und versuchen, die harten Beschlüsse weich zu zeichnen.
Vergeblich, denn die vergangenen sieben Tage haben vor allem eines gezeigt: wie virtuos Merkel die alten wie die neuen Gesetze der Macht anzuwenden versteht. Überflüssig gewordene Wegefährten abservieren konnte sie schon immer gut. Neu ist jedoch, dass Merkel kritische Geister nicht fernhält, sondern in ihre Nähe holt.

Sie versteht die alten wie auch die neuen Gesetze der Macht.
Ein kluger Schachzug – ohne die Berufung von Annegret Kramp-Karrenbauer zur Generalsekretärin und vor allem des konservativen Jens Spahn zum Gesundheitsminister hätten auf dem Parteitag hitzige Debatten gedroht. Über die ungeklärte Nachfolge der Kanzlerin. Über das fehlende wirtschaftsliberale und konservative Profil der CDU. Zwei Personalentscheidungen später ist die drohende Kanzlerdämmerung abgewendet, noch bevor sie den Himmel über Berlin rot färben konnte.
Wenige Wochen vor dem für Merkel so geschmeidig verlaufenen CDU-Parteitag stockt in Stuttgart ein Conférencier. Er soll den Auftritt von Wolfgang Schäuble ankündigen und begrüßt den Herrn „Bundes-“ – Pause – „tagspräsident“. Bundes- ja was noch mal? Für einen Moment segelt da die ganze Karriere des CDU-Politikers an einem vorbei: der Bundes-Beinahekanzler, der am klammernden Helmut Kohl scheiterte. Der Bundes-Doch-Nicht-Präsident, den die FDP 2004 verhinderte. Als Bundesfinanzminister eben noch der Gottseibeiuns pleitebedrohter Südeuropäer. Während der Flüchtlingskrise eiserner Reservekanzler des rechten Unionsflügels. Und dann landet Schäuble am Ende doch nur auf dem protokollarisch hochrangigen, aber politisch nahezu einflusslosen Posten des Parlamentspräsidenten.
Und so hat Schäuble genug Zeit, einen Abend lang mit dem Theatermacher Claus Peymann und der Publizistin Thea Dorn über „Macht und Autorität“ zu diskutieren. Dabei entspann sich ein Trialog, eher mit dem Florett geführt als mit dem Haudegen, der vor allem eines zeigt: Die althergebrachten Regeln der Macht sind gründlich durcheinandergeraten.
Sah Friedrich Nietzsche den „Willen zur Macht“ noch als Ausweis menschlichen Lebenswillens, verlieren heute gerade Machtmenschen alter Prägung ihren Einfluss: Schäuble oder – noch extremer – Sigmar Gabriel, der in nur einem Jahr vom Vizekanzler, SPD-Chef und Kanzlerkandidaten in spe an den politischen Rand gedrängt wurde. Auch sein Widersacher Martin Schulz ist innerhalb eines Jahres vom Merkel-Schreck zum Inbegriff gescheiterter politischer Ambitionen geschrumpft: wollte das Land regieren, konnte aber noch nicht einmal die Unterabteilungen des Willy-Brandt-Hauses hinter sich bringen.
Bastionen ewig geglaubter Macht bröckeln. Der Hollywood-Produzent Harvey Weinstein regierte als absoluter Herrscher über die Karrieren junger Schauspielerinnen, bedrängte und vergewaltigte sie. Weil er die Macht hatte, Stars zu erschaffen und zu ruinieren, schien der Filmfürst unantastbar. Doch die #MeToo-Bewegung brachte sein Reich schneller zum Einsturz, als er es selbst begreifen konnte.
In der deutschen Wirtschaft ebnet die Digitalisierung die steilen Hierarchien ein. Wenn der Innovationsberater im Kapuzenpulli von den Geschäftsmodellen der Zukunft erzählt, googelt der CEO unterm Tisch heimlich die Anglizismen. Finanzkrise, Energiewende und Dieselskandal taten ein Übriges, Konzerne zu entzaubern und Industriekapitäne wie Martin Winterkorn stürzen zu lassen.
Ist diese Erosion traditioneller Macht ein Grund zur Freude? Nun ja. Nicht nur Nietzsche, auch der kühle Systemtheoretiker Niklas Luhmann konnte der Macht Gutes abgewinnen. Macht helfe, die Komplexität in einer Gesellschaft zu reduzieren – eine wichtige Funktion in Zeiten, in denen traditionelle Unternehmen, Parteien und Milieus verschwinden und oft von Rattenfängern ersetzt werden.

Chinas Staats- und Parteichef will die Begrenzung seiner Amtszeit streichen lassen.
Und zugleich ist da ja von allem auch das Gegenteil. Mitten in einer Erosion der klassischen Macht erleben wir zugleich eine Renaissance der Macht und des Bekenntnisses zu ihr. Bisweilen von Zeitgenossen, die wir lieber weit entfernt von allen Schalthebeln sähen. Im Weißen Haus regiert ein Donald Trump, den nahezu ausschließlich Machthunger und Narzissmus ins Präsidentenamt trugen. Sein Kollege Emmanuel Macron zelebriert einen Personenkult, der selbst für französische Präsidenten ungewöhnlich ist. Und in China lässt Staats- und Parteichef Xi Jinping gerade die Begrenzung auf zwei Amtszeiten aus der Verfassung streichen. Die altgedienten Industriekapitäne und Finanzmagnaten wiederum mögen ihren gesellschaftlichen Veränderungsanspruch aufgegeben oder eingebüßt haben. Doch an ihre Stelle sind die Gründer und Manager der großen US-Digitalkonzerne getreten, die eine Gesellschaftsordnung nach ihren Vorstellungen propagieren.
Es wäre unseriös, diese verwirrend gegenläufigen Erscheinungsformen der Macht auf einen einzigen Trend zu verdichten. Aber es lassen sich doch ein paar Aussagen darüber treffen, wie sich die Regeln der Macht in den vergangenen Jahren grundlegend verändert haben. Darüber, welche Wege zur Macht als endgültig verschüttet zu gelten haben. Und welche neuen Machtpfade sich bei diesen tektonischen Verschiebungen an anderer Stelle aufgetan haben.
1. Fans sind wichtiger als Untergebene
„Wie viele Divisionen hat der Papst?“, spottete Josef Stalin, als ihm Winston Churchill vorschlug, man sollte den Papst als Verbündeten gegen die Deutschen gewinnen. Das Zitat ist in die Geschichte eingegangen als kompromissloses Bekenntnis zur „Hard Power“, zu Köpfen und Waffen als ultimativem Machtfaktor. Der Beistand des Papstes war in Stalins Augen wertlos, weil der Pontifex eben keine Soldaten in die Schlacht werfen kann.

Der Reformer pflegt einen Personenkult, der selbst für einen französischen Präsidenten ungewöhnlich ist.
Das Gegenkonzept zu dieser harten Definition von Macht formulierte der Politikwissenschaftler Robert Nye in den 90er-Jahren. Er machte den Begriff der „Soft Power“ populär. Diese weiche Macht stützt sich nicht auf Bajonette oder Exportrekorde. Sie beruht darauf, die eigenen Werte so wirksam zu propagieren, dass andere diese Werte übernehmen und damit auch den eigenen Zielen folgen – ganz ohne Zwang. Besonders mächtige Staaten wie die USA stützen sich auf eine Kombination aus Hard und Soft Power: Sie sind wirtschaftlich und militärisch stark. Aber die Vereinigten Staaten stehen auch für einen Wertekanon, den Menschen auf der ganzen Welt als begehrenswert empfinden.
Was Robert Nye für Staaten formulierte, lässt sich auf die Macht von Menschen übertragen. Bereits der römische Philosoph und Politiker Marcus Tullius Cicero unterschied zwischen der Macht durch Amtsgewalt („Potestas“) und der Macht durch Ansehen („Auctoritas“). Die Unterscheidung zwischen diesen beiden Formen zieht sich in unterschiedlichen Begrifflichkeiten bis in die Gegenwart. Immer geht es um die Grundfrage: Habe ich Macht, weil ich Menschen gegen ihren Willen zwingen kann, etwas zu tun? Oder habe ich Macht, weil ich Menschen überzeugen kann, meine Ziele als die ihren zu begreifen? Der Trend, so viel ist sicher, geht zu Letzterem.
Sicher, wo Menschen einem System nicht entkommen können, ist Potestas eine sehr wirksame Form der Macht. Der General einer Armeedivision unter Stalin musste sich nicht wirklich Gedanken machen, ob ihm die Wehrpflichtigen aus Begeisterung oder aus Furcht folgen. Sie taten es einfach, und je mehr Soldaten der General kommandierte, desto mächtiger war er. Auch in einer Partei, einer Behörde oder einem Konzern klassischen Zuschnitts funktioniert die Herrschaft über die Amtsgewalt. Hier droht denen, die sich wiedersetzen, zwar nicht das Erschießungskommando. Aber sie müssen doch mit empfindlichen Nachteilen rechnen: verpasste Karrierechancen, sozialer Druck, Kündigung.
Diese fest gefügten Systeme bröckeln. Der Konzern bietet nicht mehr die Garantie auf einen lebenslangen Arbeitsplatz. Der Fachkräftemangel ermöglicht immer mehr Arbeitnehmern, sich ihren Arbeitgeber frei zu wählen. Für viele Beamte gibt es besser bezahlte berufliche Alternativen in der Privatwirtschaft. Unternehmen sind zudem darauf angewiesen, dass ihre Mitarbeiter nicht nur Dienst nach Vorschrift leisten – damit lässt sich im Wettbewerb nicht mehr bestehen –, sondern sich mit ganzer Kraft für die Unternehmensinteressen einsetzen. Die erschreckenden Zahlen des US-Umfrageinstituts Gallup zeigen, wie selten dieses Ziel bislang erreicht wird. Lediglich 15 Prozent der deutschen Arbeitnehmer empfinden eine hohe emotionale Bindung an ihren Arbeitgeber, der Rest fühlt sich gering oder gar nicht an ihn gebunden.
Um daran etwas zu ändern, nehmen immer mehr Unternehmen eine Anleihe bei Cicero, meist ohne zu wissen, auf wen sie sich da beziehen. In Seminaren soll „Leadership“ vermittelt werden, sollen brave Abteilungsleiter lernen, wie man nicht mehr nur mit Potestas, sondern mit Auctoritas führt.
„Sich nach oben zu beißen, so wie früher, das funktioniert nicht mehr“, sagt Christine Stimpel, Partnerin der Personalberatung Heidrick & Struggles. Sie hat sich in den vergangenen zehn Jahren potenzielle Chefnachfolger in Dax-Unternehmen angeschaut und mit gut 50 von ihnen qualitative Interviews geführt. Die Personalexpertin sagt: Die wenigsten jungen Manager seien heute noch klassische Machtmenschen. „Junge Vorstände machen sich die meisten Gedanken darum, wie sie ihre Mannschaft zusammenhalten.“ Teamführung werde „ausgesprochen ernst“ genommen, viel ernster als früher.
Manche US-Konzerne erheben bereits den „Social Score“ von Führungskräften. Dabei wird gemessen, wie viele Menschen einem Manager in den sozialen Netzwerken innerhalb und außerhalb der Firma folgen. Nach dem Motto: Wer es nicht einmal schafft, für die eigenen Beiträge im Intranet Leser zu finden, der wird auch keine Mitarbeiter oder Kunden begeistern können. Frei nach Stalin müsste die Machtfrage heute nicht mehr lauten: Wie viele Divisionen hat der Papst? Sondern eher: Wie viele Follower hat er? Stand Donnerstag bei Twitter übrigens 618.022.
In der Politik war es schon immer wichtiger als in der Wirtschaft, Menschen von den eigenen Zielen zu überzeugen. Und wird nun noch wichtiger. Sich in einer Partei nach oben buckeln und treten, bis einem ein Spitzenamt in den Schoß fällt: Das funktioniert immer seltener. Gut beraten ist in dieser Gemengelage, wer sich seine Gefolgsleute selbst schafft. So wie Jens Spahn. Der parlamentarische Staatssekretär im Bundesfinanzministerium hatte bislang weder in Regierung noch in Parlament oder Partei ein besonders einflussreiches Amt inne, und ziemlich jung ist er mit 37 obendrein. Und doch galt es vor dem CDU-Parteitag als ausgemacht, dass Merkel ihm ein Ministeramt kaum würde verweigern können.
Die Antwort liegt in Spahns Auctoritas. Seinen Machtanspruch zieht er vor allem aus seiner großen Gefolgschaft: Jenen Mitgliedern und Wählern der CDU, die beschlossen haben, in Spahn den Wortführer des konservativen CDU-Flügels zu sehen. Ein formales Mandat hat ihm für diese Rolle niemand erteilt.
Um Untergebene in Anhänger zu verwandeln, muss man nicht zwangsläufig extrovertiert, gut aussehend oder mit rhetorischem Talent gesegnet sein (auch wenn all diese Eigenschaften hilfreich sind). Die wichtigste Voraussetzung, um Auctoritas aufzubauen, ist Authentizität. Wer als verlässlich und geradlinig wahrgenommen wird, dem folgen Menschen gern.
Moderne Unternehmen versuchen gezielt, solche stillen Stars in den Reihen ihrer Belegschaft zu identifizieren: Menschen, die bislang keine herausgehobene Position innehaben, die aber von besonders vielen Kollegen um Rat gefragt oder in Konflikten informell als Vermittler eingeschaltet werden. Solche Typen werden bei klassischen Auswahlprozessen für Führungskräfte oft übersehen, weil dabei in der Regel die Lautesten und Ehrgeizigsten nach vorn drängen.
Das beste Beispiel eines stillen Stars ist Angela Merkel: rhetorisch nicht so brillant wie ihr Vorgänger Gerhard Schröder. Nicht so schlank wie Verteidigungsministerin Ursula von der Leyen. Nicht so elegant gekleidet wie Christine Lagarde, die Chefin des Weltwährungsfonds. Doch gerade deshalb können sich Millionen Menschen in Deutschland und überall auf der Welt mit Merkel identifizieren, weil sie umso gelassener und verlässlicher wirkt, je aufgeregter sich die Welt um sie herum gebärdet. Dass auch dieses Image vom Kanzleramt bewusst verstärkt und als Instrument der Herrschaftssicherung eingesetzt wird, zeigt einmal mehr, wie virtuos die Physikerin Merkel mit den Regeln der Macht zu kalkulieren weiß.
2. Auch außerhalb des Systems geht es nach oben
Der französische Schriftsteller Marie-Henri Beyle alias Stendhal hat eine alte Regel der Macht bereits im Titel seines berühmten Romans vorweggenommen: „Rot und Schwarz“. Die beiden Farben stehen für die Uniform des Soldaten und die Soutane des Priesters. Die Botschaft dahinter: Wer aufsteigen will, muss sich für ein System entscheiden. Kirche oder Armee lauteten die Alternativen für Stendhals Romanhelden, heute sind die Optionen vielfältiger geworden: Politik, Wirtschaft, Verwaltung, Wissenschaft.
Doch eines hat sich seit Stendhals Zeiten nicht verändert. Wer heute in Deutschland oben ist, hat sich zumeist sehr früh für einen Aufstiegsweg entschieden: eine Partei, eine Behörde, eine Branche, ein Unternehmen. Überall dominiert die Kaminkarriere. Dax-Konzernchefs wie Joe Kaeser (Siemens) oder Dieter Zetsche (Daimler) haben ihr gesamtes Berufsleben in jenem Unternehmen verbracht, in dem sie schließlich an die Spitze gelangten. Mehr als die Hälfte aller Dax-Chefs, das hat die Personalberatung Odgers Berndtson ermittelt, wurden aus dem eigenen Unternehmen heraus berufen.
Klar, in einer von Kontinuität geprägten Gesellschaft, in der die großen Unternehmen ebenso unverrückbare Säulen der Macht bilden wie die Parteien, ergibt die Kaminkarriere Sinn. Es dauert Jahre, bisweilen Jahrzehnte, den Habitus eines Konzerns anzunehmen, seine informellen Netzwerke kennen zu lernen. Einen Mentoren zu finden, in dessen Windschatten man Karriere machen kann, eine Seilschaft mit Gleichgesinnten zu bilden. Wer den Arbeitgeber oder gar den Beruf wechselt, musste dieses mühsam akkumulierte soziale Kapital abschreiben. So war es bislang.
Doch je dynamischer sich eine Gesellschaft verändert, desto geringer der Wert der Beharrung. Wer weiß, ob es den eigenen Arbeitgeber noch gibt, wenn man endlich im richtigen Alter für den Vorstandsposten ist? Und ob der Aufsichtsrat dann wirklich noch jemanden sucht, der für Kontinuität steht – und nicht eher jemanden, der frische Sichtweisen und Gedanken ins Unternehmen bringt? Bei Grenke Leasing, dem im SDax notierten Finanzdienstleister, haben sie sich gerade so eine Frau geholt: Antje Leminsky, 47, die schon für Otto, PwC und Gruner + Jahr gearbeitet hat – und mit einem eigenen Start-up gescheitert war. Früher ein Karrierekiller, heute ein Erfahrungsnachweis.
Turnschuh-Manager wie Kasper Rorsted durchbrechen nicht nur Dresscodes, sondern auch typische Karrierewege: Als erste Führungskraft wechselte er vom Chefposten beim einen Dax-Konzern (Henkel) zum Chefposten beim anderen (Adidas). René Obermann schmiss 2013 als Vorstandschef bei der Telekom hin, weil ihm Gestaltungsspielraum wichtiger war als die Zahl der Untergebenen. Seither hat er an Lebensqualität gewonnen, aber an Einfluss nicht verloren, wie in dieser Woche seine Berufung in den Verwaltungsrat von Airbus zeigte.

Wechselte von einem Dax-Chefposten (Henkel) auf den anderen (Adidas).
Das für jeden Aufstieg so wichtige sozialen Netzwerk muss heute nicht mehr beim Kantinengespräch gepflegt werden, sondern kann über Unternehmensgrenzen hinweg portiert werden. Karrierenetzwerke wie LinkedIn helfen dabei. Um in der Öffentlichkeit präsent zu bleiben, brauchen Manager heute keine Kommunikationsabteilung mehr. Ein gut geführter Twitter-Account reicht völlig aus – sofern man denn wirklich etwas zu sagen hat.
Die Offenheit für ungewöhnliche Karrierewege hat die junge Generation längst verinnerlicht. Lang gehegte, strukturierte Karrierepläne seien dort die Ausnahme, so Heidrick&Struggles-Partnerin Stimpel: „Es ist eher die Haltung, mit Leistung zu überzeugen und gewisse Dinge dann auf sich zukommen zu lassen.“
Auch in der Politik führen die Wege zur Macht inzwischen häufiger als früher über die Außenbahn. Emmanuel Macron hat es in Frankreich vorgemacht: Weil dem früheren Wirtschaftsminister seine angestammte politische Heimat, die altehrwürdige sozialistische Partei, zu eng und marode erschien, verließ der die Regierung, gründete seine eigene Bewegung „En Marche“, gewann erst die Präsidentschaftswahl und holte dann noch die absolute Mehrheit in der Nationalversammlung.

Er warf als Telekom-Chef hin – und verlor trotzdem nicht an Einfluss.
Macrons Beispiel hat auch in Deutschland einiges ausgelöst. Die Gleichung, dass eine politische Karriere möglichst schnell an die Spitze einer Partei und dann in die Regierung führen sollte, gilt nicht mehr uneingeschränkt. Bereits bevor er die Sondierungen mit Union und Grünen platzen ließ, trug sich FDP-Chef Christian Lindner mit dem Gedanken, nicht etwa als Vizekanzler und Minister in eine Jamaika-Regierung einzutreten. Sondern lieber seine Position als FDP-Fraktionsvorsitzender im Bundestag zu einer Art Nebenkanzleramt auszubauen, um bloß nicht zu sehr in die Kabinettsdisziplin eingebunden zu sein. In einer Zeit, in der in nahezu allen westlichen Demokratien das Vertrauen in die etablierte Politik schwindet, kann es durchaus strategisch sinnvoll erscheinen, nicht zu sehr als Teil dieses Establishments zu erscheinen.
3. Machtwillen darf man wieder zeigen
Bruce Willis hält eine Knarre in der Faust, seine zusammengekniffenen Augen fixieren den Feind in der Ferne. „Death Wish“ steht auf dem Filmplakat. Die vielen Menschen, die sich am Dienstag dieser Woche in den Saal eines Kinos im oberbayerischen Bad Tölz drängen, sind aber nicht wegen Bruce Willis hier.
Der Mann, um den es geht, blickt nur ein paar Meter weiter aufreizend selbstsicher von einem anderen Plakat: Bayerns designierter Ministerpräsident Markus Söder. „Söder Persönlich“ steht in weißen Versalien auf seiner Brusthöhe. Es soll hier also um den Menschen gehen hinter dem politischen Urviech, das mit 35 Jahren zum Generalsekretär der CSU aufstieg, dann zum bayerischen Finanzminister, und dem nun das Kunststück gelungen ist, sich gegen den Willen des Amtsinhabers Horst Seehofer als nächster Ministerpräsident Bayerns zu installieren. Die Wahl im Landtag ist nur noch Formsache.

Für den künftigen bayerischen Ministerpräsident kommt „Macht“ von „machen“.
Angetrieben hat Söder dabei sein unbedingter Wille zur Macht. Der Politiker berichtet an diesem Abend im voll besetzten Kinosaal freimütig: Schon als 16-Jähriger hätten ihm die Lehrer unterstellt, er wolle Bundeskanzler werden. Wohlwollendes Raunen. Als Söder dann noch erzählt, wie er als ungestümer Jungpolitiker vor Ungeduld fast vor dem Telefon kollabiert wäre, als er auf den Anruf seines Mentors Edmund Stoiber wartete, der ihm das Amt des CSU-Generalsekretärs antragen sollte, breitet sich im Saal endgültig großelterlicher Stolz aus: „So is’ a, unser Bua“.
Markus Söder steht für eine weitere neue Regel der Macht: Es ist wieder okay, sich zu ihr zu bekennen. Der Journalist Rainer Hank hat für diese neue Offenheit den geistigen Überbau geliefert mit seinem 2017 erschienenen Buch „Lob der Macht“. „Der Wille zur Macht ist Leistungsansporn und Lustgewinn“, meint Hank. Er hält Machtstreben für eine anthropologische Konstante, wegargumentieren zwecklos. Warum sich also nicht gleich zu ihr bekennen?
Oder anders herum, warum war es für Mächtige so lange verpönt, zu ihrem Machtstreben zu stehen, warum nuschelten ganze Politiker- und Managergenerationen lieber verschämt vom „Einfluss“, den man womöglich genieße, von den „Gestaltungsmöglichkeiten“ die man schätze, anstatt sich so breitbeinig zu bekennen wie Söder?
Die Antwort auf diese Frage hat in Deutschland viel mit dem Nationalsozialismus zu tun, seit dem sich das Wort „Macht“ kaum noch ohne den Zusatz „Missbrauch“ denken lässt. Aber auch damit, dass in den Geistes- und Sozialwissenschaften den vergangenen Jahrzehnten Theorien dominierten, die den Machttrieb von Menschen in den Hintergrund drängten. Die modernen Philosophen der Macht bewegten sich Lichtjahre weit entfernt von einem Niccolò Machiavelli, der sich Anfang des 16. Jahrhunderts in seinem Schlüsselwerk „Der Fürst“ nicht zu schade war für höchst pragmatische Tipps zum Machterhalt. Etwa mit jenem berühmten Lehrsatz, demzufolge man Grausamkeiten stets am Beginn seiner Regentschaft begehen sollte, weil sie dann umso eher wieder vergessen seien.

Die US-Westküste ist das neue Machtzentrum der Weltwirtschaft.
Für postmoderne Philosophen wie Michael Foucault hingegen war Macht etwas, das nicht in Personen steckte, sondern in Diskursen, die innerhalb einer Gesellschaft ablaufen. Macht war plötzlich überall und dadurch zugleich nirgends. Auch die Globalisierung trug dazu bei, Macht als etwas Gesichtsloses zu begreifen: Es regierten „Die Märkte“ mit ihren Ansprüchen an Effizienz und Wettbewerbsfähigkeit. So richtig verantwortlich war am Ende niemand. Die berühmte Merkel’sche „Alternativlosigkeit“ suggerierte in der Finanzkrise, dass man gar nicht anders könne, als den anonymen Bedürfnissen der Kapitalmärkte zu gehorchen.
Vermutlich hat auch diese angebliche Machtlosigkeit der Mächtigen zur Unzufriedenheit vieler Bürger in den westlichen Staaten beigetragen. Was wiederum den Aufstieg von Politikern wie Donald Trump begünstigt, die sich von vermeintlichen Sachzwängen nicht ins Bockshorn jagen lassen. Je stärker die Bürger etablierten Politikern und auch Managern misstrauen, desto stärker misstrauen sie auch deren Beteuerungen, dass Macht nicht ihr Hauptantrieb sei. Umso größer dann die Bereitschaft, den unverhohlenen Willen zur Macht zunächst einmal als erfrischende Ehrlichkeit zu akzeptieren.
Es gebe genug Menschen, die Probleme analysieren könnten oder die mahnten, sagt Söder in Bad Tölz. Aber eben nur wenige, die bereit wären, auch etwas zu machen. Er wolle Dinge verändern, und das gehe nur mit Macht. „Macht kommt von Machen“, sagt Söder, und „von nix kommt nichts.“ Mit Machiavelli will Söder allerdings nichts gemein haben. Machiavelli lesen und „House of Cards“ schauen, das gehöre vielleicht zum Rüstzeug für einen Funktionär der Schülerunion, spottet der designierte Ministerpräsident.
Immerhin: Es ist Söders Vorschlag, er nennt ihn „für Bayern revolutionär, für Deutschland prägend“, das Amt des bayerischen Ministerpräsidenten auf zwei Wahlperioden, also auf zehn Jahre zu deckeln. „Macht braucht Begrenzung“, sagt Söder und wühlt in einer Popcorntüte.
4. Wissen, nicht Geld ist die wahre Macht
Geld regiert die Welt, lautet in Deutschland der Glaubenssatz bis weit in bürgerliche Kreise hinein. Über lange Jahre hinweg verkörperte keine Institution diese vermeintliche Herrschaft des Großkapitals so perfekt wie die Deutsche Bank. Zuletzt schien sich die dunkle Macht des großen Geldes während der Finanzkrise zu bestätigen, als der damalige Deutsche-Bank-Chef Josef Ackermann dem Kanzleramt ganz selbstverständlich seine Ratschläge unterbreitete.
Doch zumindest in Europa sind Macht und Machtanspruch der Großbanken seit der Finanzkrise deutlich geschrumpft. Das zeigt sich schon am Habitus: Während Ackermann und auch sein Nachfolger Anshu Jain bevorzugt mit dem Privatjet unterwegs waren (143.000 Euro Listenpreis für 25 Flugstunden), reist der heute amtierende Bankchef John Cryan stets Linie. Wenn Cryan im Londoner Büro des Geldhauses ist, macht er sich schon mal selbst seinen Kaffee. An Freitagabenden fährt er häufiger mit der U-Bahn vom Büro in sein Londoner Domizil.
Das alles wäre bei seinen Vorgängern Ackermann und Jain wohl undenkbar gewesen. Beide gierten nach der Macht, die der Job mit sich brachte. Und für beide war die Deutsche Bank letztlich ein Instrument, um mehr Macht zu erlangen. Ackermann wollte ein globales Imperium aufbauen und nutzte die zunehmende internationale Hoheit der Deutschen Bank, um politischen Einfluss im In- und Ausland auszuüben. Der autoritäre Jain dagegen nutzte die Macht vor allem nach innen, um seine Truppen anzutreiben und seine engsten Gefolgsleute zu fördern.
Beiden gemein war das Ziel, aus der Deutschen Bank eines der größten und mächtigsten Geldhäuser der Welt zu machen. Diese überfliegenden Ambitionen hat Cryan aufgegeben – gezwungenermaßen, weil sich die Deutsche Bank den teuren und riskanten Expansionskurs schlicht nicht mehr leisten kann.
Macht ist die Gewalt, aufgrund eines Amtes über jemand anderen bestimmen zu können – so lautet eine gängige Definition. Es ist diese Art von Macht, welche viele Jahre innerhalb der Deutsche Bank vorherrschte. Und wie man nach unzähligen Strafzahlungen und Rechtsfällen weiß, galt diese Devise mitunter auch für das Verhältnis zu den Kunden, die zum Teil betrogen und belogen wurden.
Cryan ist dieser Umgang mit seinen Mitmenschen fremd. Doch das Desinteresse an der Macht führt eben auch dazu, dass Cryan vor allem nach außen hin deutlich weniger Einfluss und Autorität hat als frühere Vorstandschefs. Statt wie andere CEOs zum Weltwirtschaftsforum nach Davos zu fahren, bereitet er lieber in Frankfurt die Präsentation der Jahreszahlen vor – und löste damit Kopfschütteln in seinem Umfeld aus.
So wie bei Cryan ist auch bei vielen anderen Bankchefs der gesamtgesellschaftliche Machtanspruch einem nüchternen Zahlenpragmatismus gewichen. Politik wird nur noch da gemacht, wo es per Lobbyeinfluss Geschäftsinteressen zu schützen gilt. Diese Beschränkung liegt auch am Wettbewerb, der sich auf vielen Märkten durch Globalisierung und Digitalisierung extrem verschärft hat. Die Bereitschaft von Aktionären, den Bankchefs auf Firmenkosten ihre Machtfantasien zu erfüllen, hat deutlich abgenommen.
Überspitzt könnte man sagen: Falls Geld jemals die Welt regiert hat, dann sind diese Zeiten inzwischen vorbei. Vor allem, weil Kapital nach mittlerweile zehn Jahren Niedrigzinspolitik im Vergleich zu den übrigen Produktionsfaktoren keine wirklich knappe Ressource mehr ist. Und nur, wer den Zugriff auf knappe Ressourcen besitzt, kann sie als Machtinstrument gebrauchen.

Der Tesla-Chef demütigt die etablierte Autobranche – und will nebenbei die Besiedlung des Weltraums vorantreiben.
Was keineswegs bedeutet, dass nun alle Unternehmen ihren Anspruch aufgegeben haben, die Gesellschaft zu verändern. Diese Rolle ist von den Großbanken auf jene Konzerne übergegangen, die die neue knappe Schlüsselressource verwalten: Wissen in Form von Patenten, Kundendaten, technischem Know-how. Geografisch ballt sich dieses neue Machtzentrum der Weltwirtschaft nicht mehr in Frankfurt, Manhattan oder London, sondern entlang der amerikanischen Westküste. Sogar ein Kürzel gibt es für die neue Supermacht schon: Gafa, was für Google, Apple, Facebook und Amazon steht. Zum erweiterten Machtkomplex zählt auch ein Elon Musk, der mit Tesla nicht nur die etablierte Autobranche demütigt, sondern nebenbei auch die Besiedelung des Weltalls plant. Dazu zählt der libertäre Wagniskapitalinvestor Peter Thiel, der Monopole für erstrebenswert hält und von künstlichen Inseln vor der kalifornischen Küste träumt, auf denen Programmierer ohne lästige Rechtsnormen schuften können. Datenschutz und Arbeitnehmerrechte hingegen spielen für die neuen Herrscher der Wissensökonomie eine eher untergeordnete Rolle.
Für jeden, der im Jahr 2018 Macht anstrebt, lautet die vielleicht wichtigste Regel: Mehre nicht in erster Linie dein Geld, sondern dein Wissen. Dieses Wissen kann verschiedene Formen annehmen: eine patentgeschützte, relevante Innovation. Eine besonders gefragte berufliche Fertigkeit. Ein besonders gut gepflegtes Netzwerk mit wichtigen Personen darin. Oder auch den Zugang zu Daten, die niemand sonst zu analysieren vermag.
Wissen ist Macht – dieser alte Spruch war noch nie so aktuell wie heute.
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