US-Newsletter „Zukunftslabor USA“ Bei Joe Bidens Mega-Infrastrukturpaket geht es nur oberflächlich um Straßen, Brücken und Gebäude
Washington Das nächste Investitionspaket der US-Regierung könnte noch größer werden als die Konjunkturhilfen im März. Bis zum Sommer will Präsident Joe Biden den nächsten Aufschlag seiner Wirtschaftsagenda umsetzen. Rund zwei Billionen soll sein geplantes Mega-Infrastrukturpaket kosten, das die Infrastruktur reparieren, eine grüne Energiewende einläuten und die Wettbewerbsfähigkeit sichern soll.
Nur oberflächlich geht es dabei um Straßen, Brücken und Gebäude, also um die klassischen „Stahl und Beton“-Projekte. Bidens Energieministerin Jennifer Granholm hat in einem Fernsehinterview beschrieben, dass moderne Infrastruktur vor allem eines sein muss: innovativ.
Breitband, grünen Strom, E-Autos oder klimaneutrales Bauen habe man noch vor wenigen Jahrzehnten nicht mitgedacht, so die Ministerin. Auch die sozialen Aspekte, quasi die Infrastruktur einer Gesellschaft, gehörten ins Gesamtbild. „Man muss sicherstellen, dass Menschen tatsächlich zur Arbeit gehen können, wenn sie ein Elternteil pflegen oder ein Kind haben“, erklärte sie.
Granholm, übrigens gebürtige Kanadierin, ist aktuell eine von Bidens wichtigsten Kabinettsmitgliedern, die auf dem Capitol Hill und in der Wirtschaft Überzeugungsarbeit für das kostspielige Mega-Paket leisten.
Gemeinsam mit Finanzministerin Janet Yellen, Verkehrsminister Pete Buttigieg, Bauministerin Marcia Fudge, Arbeitsminister Marty Walsh und Handelsministerin Gina Raimondo bildet Granholm „Bidens Sixpack für Infrastruktur“.

Die gebürtige Kanadierin ist aktuell eine von Joe Bidens wichtigsten Kabinettsmitgliedern.
Der zweite Teil des geplanten Pakets soll die gesellschaftliche Ungleichheit abfedern, über Investitionen in Kinderbetreuung, Pflege und Bildung. Es ist eine schlaue Strategie der US-Administration, klassische Infrastruktur mit Nachhaltigkeit und einer größeren Vision für den Alltag der Menschen zu verbinden. Nach vier turbulenten Jahren unter Trump braucht das Land Themen, hinter denen sich möglichst viele Menschen versammeln können.
Sollte es Biden tatsächlich gelingen, eine oder sogar beide Teile der Reform auf den Weg zu bringen, könnte er sich entscheidend von der Obama-Präsidentschaft absetzen, in der er acht Jahre als Vizepräsident diente. Im Wahlkampf war Biden oft vorgeworfen worden, er würde auf dem „Obama-Ticket“ gewählt und stünde mit seinen 78 Jahren für das gestrige Establishment der Demokraten.
Ausgerechnet er beweist nun, nach bald 100 Tagen im Amt, fast schon revolutionären Weitblick. Bidens Konjunkturpaket, vor allem aber ein womöglich erfolgreicher Infrastruktur-Vorstoß, haben weltweite Implikationen: für die heimischen Firmen, für ausländische Investoren, für das Ansehen der USA in der Welt.
Denn nur wenn die USA wirtschaftlich stark und auch gesellschaftlich stabil sind, können sie ihrem Anspruch einer Führungsrolle gerecht werden. Ein Blick ins Kleingedruckte des Pakets zeigt, das die US-Regierung Innovationen zur Priorität erklärt – auch, um im globalen Wettbewerb mit China bestehen zu können.
- Grüne Energiewende: Mehr als 600 Milliarden US-Dollar sind für Elektrofahrzeuge, energieeffizientes Wohnen, moderne Wasserleitungen, Stromnetze und Breitband vorgesehen – das schlägt das Weiße Haus als Grundlage für ein Paket im Kongress vor. Es wäre das erste Mal, dass die USA den Klimawandel als Kern einer Wirtschaftsreform priorisieren und grüne Innovationen in den Mittelpunkt stellen.
- Research and Development (R&D): Die restlichen Mittel sollen zum Großteil in Fertigung, Forschung und Entwicklung fließen, um Innovationen zu fördern und die Produktion der USA unabhängiger von ausländischen Mitbewerbern zu machen. „Weniger als ein Prozent unseres Bruttoinlandsprodukts fließen in Forschung und Entwicklung“, prangerte Biden an - zum Vergleich: In China sind es mehr als zwei Prozent. „Wir fallen zurück, während der Rest der Welt aufholt. Das können wir nicht zulassen.“
- Chipindustrie: Biden will unter anderem 37 Milliarden US-Dollar in die Chipherstellung pumpen. Deutsche Konzerne wie BMW, Bosch oder Volkswagen drängen in den USA schon länger auf höhere Investitionen. Es ist gut möglich, dass auf dem Capitol Hill bald Bewegung in das Thema kommt. Der Kongress arbeitet an einem Gesetz, das neue Mittel für 5G-Mobilfunknetze, künstliche Intelligenz und Quantencomputer bereitstellen soll. Auch das jährliche Militärbudget sieht Bundeszuschüsse für die Halbleiterherstellung und Chipforschung vor.
Die Kehrtwende auf dem Markt für Innovationen ist notwendig, wenn die USA ihren Ruf als Land der Zukunftsträume und Technik-Giganten aufrecht halten wollen. Denn die USA sind eine der wenigen großen Volkswirtschaften, deren öffentliche Investitionen in R&D in den letzten 25 Jahren schrumpften, prozentual gemessen am Bruttoinlandsprodukt. China ist weltweit die Nummer Zwei – und könnte die USA jederzeit überholen.
Der Zeitpunkt für die vielfältigen Vorstöße ist interessant. Statt allein um die akute Krise der Pandemie zu kreisen, verspricht die US-Regierung Investitionen in die Zukunft. Bidens Motto scheint zu sein: Wann, wenn nicht jetzt? Er warnt bei jeder Gelegenheit davor, dass die USA im Rennen um moderne Technologie abgehängt würden.
Die Zahlen geben ihm Recht, wie dieses Beispiel aus der Chipindustrie zeigt: So entfielen nach Angaben des Branchenverbandes US Semiconductor Industry Association vor 30 Jahren rund 37 Prozent der weltweiten Halbleiterproduktion auf die USA. Heute sind es nur noch zwölf Prozent.
Biden setzt mit seinen Appellen auch Gegner im Kongress unter Druck, denen sein Infrastrukturpaket zu teuer ist. Was wir jetzt investieren, so sein Verkaufsargument, müssen wir später nicht teuer ausgleichen.
Auch hier taugt die Chipindustrie als Beispiel. Nahezu jeder große Autohersteller, der in den USA produziert, ist von Engpässen an Halbleitern betroffen – auch deutsche Firmen. Die Agentur Moody's prognostiziert, dass der Chipmangel amerikanische Riesen wie Ford und GM in diesem Jahr etwa ein Drittel ihres Gewinns kosten wird. In dieser Woche lud die US-Regierung zu einem virtuellen Krisengipfel ins Weiße Haus.

Der US-Präsident verzichtet auf Spektakel.
Übrigens hatte bereits Vorgänger Donald Trump ein Gesetz angestoßen, das die heimische Halbleiterindustrie unterstützen soll. Auch andere Themen katapultierte er in den Fokus der Öffentlichkeit: Chinas Handelspraktiken etwa, oder die Abhängigkeit der USA von Importen. Doch im Gegensatz zu Biden konzentrierte sich Trump dabei nicht auf Sachpolitik, sondern auf Spektakel.
Eine von Trumps wenigen großen politischen Reformen, die Steuersenkungen von 2017, will Biden nun teilweise rückgängig machen. Die USA läuten damit eine Trendwende ein, sofern der Kongress den Plänen zustimmt.
Jahrzehntelang waren die Steuersätze auf der ganzen Welt gefallen, weil sich die Staaten gegenseitig unterboten hatten. Doch plötzlich scheint sich die Entwicklung umzukehren, sollte die Biden-Regierung tatsächlich die Unternehmensteuern von 21 auf 28 Prozent erhöhen.
Neben diesen nationalen Steuererhöhungen kommt nun auf internationaler Ebene noch die globale Mindeststeuer hinzu. Sie hat gute Chancen auf eine Realisierung, weil sich die USA an die Spitze der Bewegung setzen. Laut Ökonomen ist ein Ende des Steuerwettbewerbs aber nicht in Sicht, wie meine Kollegen aus dem Handelsblatt Parlamentsbüro erklären.
Frage der Woche
Joe Biden ist bald 100 Tage im Amt. Was hat er schon geschafft?
Die Antwort kommt von Stephen Ansolabehere, Politik-Professor an der Universität Harvard
Im US-Kongress, so der Harvard-Forscher, könne der Präsident kaum auf überparteiliche Unterstützung hoffen. „Die Republikaner haben sich für den Moment entschieden, in der harten Opposition zu bleiben“, sagt er. Schon das Konjunkturpaket wurde ohne republikanische Stimme verabschiedet, bei der Infrastruktur-Reform könnte sich das wiederholen. Doch im gesellschaftlichen Gesamtbild mache Biden durchaus einen Unterschied, so der Professor. Er findet, dass Biden „ziemlich geschickt“ sein Ziel verfolgt, die Polarisierung zu mildern.
„In der Bevölkerung kommt sein Krisenmanagement in der Pandemie gut an. Biden konzentriert sich zudem auf Themen, hinter denen sich viele Menschen versammeln können. Infrastruktur interessiert den Großkonzern genauso wie eine kleine Baufirma. Und den Vormarsch Chinas finden Anhänger von Demokraten und Republikanern gleichermaßen bedrohlich“, sagt Ansolabehere. Sogar die geplanten Steuererhöhungen seien weniger spaltend, als man auf den ersten Blick annehmen würde. „Dass Vermögende und Unternehmen mehr zahlen sollen, wird von einer Mehrheit befürwortet.“
Kurz & Bündig
- Warum Corporate America den Aufstand probt: Zwei afroamerikanische Topmanager organisieren den Widerstand gegen schärfere Wahlgesetze in den USA.
- Ist Bidens Impfprogramm in Gefahr? Die US-Behörden empfehlen eine Aussetzung des Vakzins von Johnson&Johnson. Auch der Start in Europa ist davon betroffen.
- Der Protektionismus der USA bleibt – selbst wenn die Pandemie vorbei ist: Unter dem Wirtschaftsnationalismus der USA leidet auch der deutsche Mittelstand.
Beta-Ebene

Die Branche will wieder richtig loslegen.
Zurück aufs Traumschiff
Die USA sind international der mit Abstand größte Markt für Kreuzfahrten, doch die Branche kämpft mit Milliardenschulden. Seit mehr als einem Jahr dürfen keine Cruise Liner mehr von den insgesamt 14 US-Kreuzfahrthäfen ablegen. Das Virus hatte die Touren in schwimmende Superspreader-Events verwandelt, teilweise infizierten sich Hunderte Personen auf einmal an Bord.
Angesichts des rasanten Impfprogramms wächst nun der Druck auf die Gesundheitsbehörde CDC, Kreuzfahrten wieder zu erlauben. Im Sommer, so die Hoffnung, könnten erste Schiffe ablegen. Sollte die CDC nicht handeln, so der Betreiber Carnival, wolle man die Flotte in der Hauptsaison einfach von der Karibik aus starten lassen, wo es kaum Beschränkungen gibt.
Vielleicht aber ist eine radikale Verlagerung am Ende gar nicht notwendig. Denn laut Experten könnte sich die Branche am Ende schneller erholen als zum Beispiel Fluggesellschaften. Die meisten Airlines hielten ihren Betrieb zwar in der Pandemie aufrecht.
Aber ihre Rentabilität hängt viel stärker von Geschäftsreisen ab als in der Kreuzfahrtindustrie. Hier ist man auf Freizeittouristen angewiesen – und die Amerikaner können es gar nicht erwarten, wieder zu reisen.
Im Handelsblatt erfahren Sie bald mehr über die einst lukrative Branche, die einen Neustart herbeisehnt. Ich werde in dieser Woche Port Everglades in Florida besuchen, einen der größten Kreuzfahrthafen der USA, und zeitnah darüber berichten.
Mehr: Erfolgreiche Impfkampagne: US-Großkonzerne holen Mitarbeiter zurück in die Büros
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