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Frauen in der Kunst Mauerblümchen wider Willen – Warum die Ungleichheit der Geschlechter im Kunstmarkt so verankert ist

Welche Mechanismen dazu führen, dass Kunst von Frauen in Museen viel seltener ist als von Männern – und warum sie auf dem Kunstmarkt so viel günstiger gehandelt werden.
11.03.2021 - 15:52 Uhr Kommentieren
So gleichberechtigt die Frauen in der DDR waren, in der Kunst dominierten die Männer. Das in Öl auf Hartfaserplatte gemalte Bild entstand 1984 (Ausschnitt). Quelle: Staatliche Kunstsammlungen Dresden; Foto: Elke Estel/Hans-Peter Klut
Christine Schlegel „Penthesilea“

So gleichberechtigt die Frauen in der DDR waren, in der Kunst dominierten die Männer. Das in Öl auf Hartfaserplatte gemalte Bild entstand 1984 (Ausschnitt).

(Foto: Staatliche Kunstsammlungen Dresden; Foto: Elke Estel/Hans-Peter Klut)

München Kunst von Künstlerinnen wird viel weniger wahrgenommen und angekauft als die von Künstlern. Das belegt jeder Gang durch ein beliebiges Museum für moderne und zeitgenössische Kunst. Dafür, dass Frauen die Hälfte der Menschheit ausmachen, reicht es nicht, dass immer nur ein paar Alibikünstlerinnen zu Museumsehren gelangen.

Auch auf dem Kunstmarkt ist die Ungleichheit der Geschlechter krass. Hier sind Werke von Frauen günstiger zu haben als die der viel zahlreicheren männlichen Heroen. Im Bereich der absoluten Preisspitze fehlen Frauen vollständig.

Wer die Namen der teuersten Künstler seit der Moderne, von Pablo Picasso über Andy Warhol zu Gerhard Richter, Damien Hirst und Cy Twombly herunterspulen kann, dem fällt auf der Seite der Frauen vielleicht bestenfalls noch Frida Kahlo ein; weil Feministinnen sie gern vereinnahmten. Während die Höchstpreise der genannten Männer zwischen 30 und 110 Millionen Dollar liegen, hat Frida Kahlos am höchsten bewertetes Gemälde, das surrealistische Bild „Dos desnudos in el bosque“, 2016 bei Christie’s acht Millionen Dollar gebracht.

Warum ist die Benachteiligung von Frauen in der Kunstszene so manifest? Viele Faktoren und nicht zuletzt Vorurteile, wie etwa „Sie wird aufhören, wenn sie Kinder kriegt“, spielen da zusammen. Die Folge: eine drastische Unterrepräsentation, die der historischen Quellenlage keineswegs entspricht.

Die Ausgrenzung von Frauen begann in der Frühphase der Avantgarde schon mit der Ausbildung. In deutschen Kunstakademien waren Studentinnen im Allgemeinen erst ab 1919 zugelassen. Weil sie sich zuvor privat oder von den Vätern hatten ausbilden lassen, gab es vereinzelt talentierte Frauen, die am Rande des Kunstbetriebs der Klassischen Moderne eine Nische, einen Galeristen und Eingang in Museen fanden. Heute ist das erfreulicherweise anders.

Das Ölgemälde versteigerte Christie's für acht Millionen Dollar. Im Verhältnis zu den Preisen ähnlich favorisierter männlicher Künstler ist das wenig. Quelle: Christie's; VG Bild-Kunst, Bonn 2021
Frida Kahlo „Dos denudos en el bosque“

Das Ölgemälde versteigerte Christie's für acht Millionen Dollar. Im Verhältnis zu den Preisen ähnlich favorisierter männlicher Künstler ist das wenig.

(Foto: Christie's; VG Bild-Kunst, Bonn 2021)

Die neueste Untersuchung zur Präsenz von Künstlerinnen liefert der im vergangenen Jahr veröffentlichte „UBS Art Market Report 2020“. Dort untersuchte die Kunstmarktstatistikerin Clare McAndrew den Geschlechterproporz in Kunstgalerien während der Jahre 2015 bis 2019. In vier Kategorien ermittelte McAndrew: „Star“, „Celebrated“, „Established“ und „Emerging“: Die Verkaufsstars ganz oben sind zu 74 Prozent Künstler und nur zu 26 Prozent Künstlerinnen.

„Wir leben immer noch in einer Gesellschaft, die vom Geld der ‚weißen Männer‘ dominiert wird und somit von deren Geschmack“, kommentiert Barbara Gross das Missverhältnis auf Handelsblattanfrage. Gross hat vor 33 Jahren eine Galerie in München gegründet und sich vor allem um die Platzierung wichtiger zeitgenössischer Künstlerinnen gekümmert.

Nur in einem einzigen Bereich, bei den aufstrebenden Talenten, sieht es im UBS-Report etwas besser aus: Da nähern sich die viel versprechenden jungen Künstlerinnen mit 43 Prozent den 57 Prozent der Männer schon deutlich an. Die mittleren Kategorien der gefeierten und etablierten Kunstschaffenden stehen linear genau zwischen den Polen. Sie ermitteln für Künstlerinnen in etwa 30 Prozent Galeriepräsenz.

Aber nur 13,8 Prozent der lebenden Künstler, die Galerien in Europa und Nordamerika unter Vertrag haben, sind weiblich. Das hat die Kunstpreisdatenbank Artnet 2017 ermittelt. Die Österreicherin Renate Bertlmann fragte beispielsweise in ihren Anfängen als Künstlerin einen Galeristen, ob sie bei ihm ausstellen könne. Er lehnte ab: „Warum soll ich Ihre Werke zeigen, Sie sind doch eh verheiratet.“

Das Bild von verstörender Körperlichkeit konnte Sotheby’s im Oktober 2018 für 12,4 Millionen Dollar versteigern (Ausschnitt). Quelle: VG Bild-Kunst, Bonn 2021/imago/ZUMA Press
Jenny Saville „Propped“

Das Bild von verstörender Körperlichkeit konnte Sotheby’s im Oktober 2018 für 12,4 Millionen Dollar versteigern (Ausschnitt).

(Foto: VG Bild-Kunst, Bonn 2021/imago/ZUMA Press)

Von den 1950er- bis zu den 1970er-Jahren sah das Rollenmodell für die Frau üblicherweise die Ehe vor. Mutter und gleichzeitig Künstlerin zu sein war nicht vorgesehen. Das hat sich erst nach Mitte der 1970er-Jahren durch den Kampf der Frauenbewegung geändert. Aber wenn eine Künstlerin keine Galerie findet, im Primärmarkt also nicht atelierfrische Werke erstmals veräußern kann, dann wird sie auch im Sekundärmarkt keine Rolle spielen.

Im Sekundärmarkt wechselt ein Kunstwerk den Eigentümer durch Verkauf in einem Auktionshaus. Georgia O’Keeffes Gemälde „White Flower No 1“ von 1932 ist das teuerste versteigerte Kunstwerk von einer Frau. 28 Jahre nach ihrem Tod kostete es 2014 bei Sotheby’s 44,4 Millionen Dollar, was jedoch eine absolute Ausnahme darstellt. Leonardo da Vincis „Salvator“ ging bekanntlich für das Zehnfache, für 450 Millionen Dollar, in neue Hände über.

Künstlerinnen werden oft im Rentenalter entdeckt

Wenn Frauen noch zu Lebzeiten entdeckt werden, dann gern im Rentenalter. Louise Bourgeois war über 80, als ihre überdimensionierten Spinnenskulpturen auf Resonanz stießen und einmal auch die Preisspitze von 32 Millionen Dollar erreichten. Aktuell entdeckt die Kunstszene die älteren Zeitgenossinnen Rose Wylie und Phyllida Barlow.

Auf den Auktionen trifft man erst seit der Jahrtausendwende vor allem im Preisbereich um zehn Millionen Dollar aktuelle Künstlerinnen an. Christie’s fuhr 2014 etwas über sieben Millionen Dollar für ein Punktebild der damals 85-jährigen Japanerin Yayoi Kusama ein. Cady Nolands Bestmarke liegt bei 9,8 Millionen Dollar, die der Malerin Jenny Saville gar bei 12,4 Millionen Dollar.

Das Gemälde von 1932 ist das teuerste versteigerte Kunstwerk, das eine Frau geschaffen hat. Quelle: Sotheby's
Georgia O’Keeffe „White Flower No 1“

Das Gemälde von 1932 ist das teuerste versteigerte Kunstwerk, das eine Frau geschaffen hat.

(Foto: Sotheby's)

Warum notieren die Arbeiten von männlichen Künstlern so viel höher? „Das hat mit der mangelnden echten Anerkennung und mit ihrer – tatsächlichen fehlenden – Begehrlichkeit auf dem Kunstmarkt zu tun“, erklärt Galeristin Gross. Die Gleichung lautet: fehlende Begehrlichkeit auf dem Kunstmarkt gleich fehlende Wertschätzung. „Man erkennt sich immer noch mehr in einem Gerhard Richter als in einer Louise Bourgeois“, so die Pioniergaleristin.

Hinzu kommt, dass bis ins späte 20. Jahrhundert vor allem Männer Kunstgeschichte schreiben. Männliche Kunsthistoriker legen die Rangfolge fest, wessen Werke als exemplarisch gelten sollen. Und sie definieren den sogenannten Kanon. Kunsthistoriker lenken die Ankaufskommissionen, ermöglichen Karrieren. Es war nicht so, dass diese Männer gar keine Künstlerinnen ankauften. Aber es schafften stets nur ein paar Alibifrauen in die großen Ausstellungen und auch in die Museen.

Genial waren früher nur die Männer

Genialität wurde früher nur männlichen Künstlern zugesprochen. Das hat sich mittlerweile geändert. Kunsthistorikerinnen und Sammlerinnen haben die feministische Avantgarde seit den 1970er-Jahren erforscht, ausgestellt und mit dicken Büchern bekannt gemacht.

Als Frauen in den 1970er-Jahren gleichberechtigt Kunst machen wollten, fanden sie die klassischen Disziplinen Malerei und Bildhauerei von Malerfürsten und starken Kerlen besetzt. Deshalb bedienten sie sich neuer Medien. Doch Fotografie, Film und Performance sind viel weniger repräsentativ. Oft fehlte das Geld für ein Modell. Künstlerinnen nutzten deshalb den eigenen Körper. Damit ändert sich der Blick auf die Frau grundlegend. Doch die körperbezogene Selbstreflexion der weiblichen Rolle in der Gesellschaft empfindet so mancher Mann als peinlich.

Die amerikanische Künstlerin wurde erst im hohen Alter entdeckt und gewürdigt. Ihr wohl bekanntestes Motiv ist die Spinne. Quelle: Bloomberg; VG Bild-Kunst, Bonn 2021
Louise Bourgeois "Maman"

Die amerikanische Künstlerin wurde erst im hohen Alter entdeckt und gewürdigt. Ihr wohl bekanntestes Motiv ist die Spinne.

(Foto: Bloomberg; VG Bild-Kunst, Bonn 2021)

Die allgemeine Scheu vor dieser Art von Körperlichkeit hat damals weder Markt- noch Museumskarrieren befördert. Seit 2004 leitet die Kunsthistorikerin Gabriele Schor die Unternehmenssammlung des österreichischen Energieversorgers Verbund. Obwohl Kunst dort auch in repräsentativen Räumen hängt, konfrontiert man Gäste, Mitarbeitende und Kunden mit explizit sexuellen Arbeiten von Cindy Sherman, Renate Bertlmann oder Birgit Jürgenssen.

Schor ist auch eine Marktmacherin. Neun Jahre recherchierte die Österreicherin, bis sie das 2016 erschienene Buch und die Soloausstellung über Bertlmann fertig hatte. Geduldig trug sie die Mosaiksteine auch zum Werk von Jürgenssen zusammen und publizierte einen opulenten Katalog.

Dachbodenfunde vergessener Werke

Heute befinden sich die Werke beider Künstlerinnen etwa in der Tate Gallery in London, im Centre Pompidou in Paris und im Museum of Modern Art in New York. „Das geht auf unser Engagement zurück“, schreibt Schor auf Nachfrage. „Beide Künstlerinnen werden nach dem Erscheinen unserer Publikation auch von internationalen Galerien vertreten und auf internationalen Messen gezeigt.“

Weil die Arbeiten in den 1970er-Jahren nicht auf Statusbildung angelegt waren und eher klein dimensioniert sind, macht Gabriele Schor immer wieder Dachbodenfunde vergessener Werke. „Als ich mit Cindy Sherman am Katalog ihres Frühwerks arbeitete, lagen einige dieser Werke in Schuhschachteln. Erst als unser Buch erschienen war, wurden sie schön gerahmt und verkauft.“ So befördert Forschung zuerst einen Markt, dann Nachfrage und später Anerkennung.

Monika Andres "Name, Stadt, Land"

"Medea muckt auf" hieß das Ausstellungsprojekt, mit denen die Staatlichen Kunstsammlungen Dresden das kämpferische Werk der radikalen Künstlerinnen hinter dem Eisernen Vorhang vorstellten.

(Foto: Monika Andres; Staatliche Kunstsammlungen Dresden)

Museen sind in der Kunstwelt der Goldstandard. Erst wer in angesehenen Häusern in der Schausammlung und nicht im Depot hängt, hat es zu quantifizierbarem Ruhm gebracht. Denn die Präsenz in Museen und Ausstellungen zahlt buchstäblich auf den Verkaufspreis in Galerien ein. Der Wert einer Künstlerin steigt, je häufiger sie zu Biennalen und Ausstellungen eingeladen wird, je mehr Topmuseen Werke von ihr haben müssen.

Seit einigen Jahren leiten vermehrt Kunsthistorikerinnen Museen. Das hat durchaus zu Ankäufen geführt, die den männlichen Blick sanft korrigieren. Susanne Gaensheimer, Direktorin der Kunstsammlung NRW, erwarb zum Beispiel Arbeiten der heute 104-jährigen, in Kuba geborenen Amerikanerin Carmen Herrera und jüngst auch ein Werk der 2004 verstorbenen Brasilianerin Lygia Pape.

US-Museen kaufen Künstlerinnen aus der DDR

Gleichwohl ist in der Würdigung von weiblicher Kunst noch viel nachzuholen. Besonders, wenn die Künstlerinnen aus der DDR stammten. Das hat Hilke Wagner erfahren.

Die Direktorin des Albertinums bei den Staatlichen Kunstsammlungen Dresden erforscht die Kunst vom 19. Jahrhundert bis heute. Im Telefongespräch mit dem Handelsblatt berichtet sie: „Staatskunst aus der DDR war selten weiblich.“ Und leider wäre auch die subversive Kunstszene nicht weniger männlich dominiert gewesen als die westdeutsche. Jetzt sei sie dabei, die Lücken zu schließen.

Die Lager der Zeitzeuginnen sind noch gut bestückt, doch die Finanzierung ist unerwartet kompliziert. „An Fördergelder für Ankäufe von Künstlerinnen aus der DDR zu kommen ist trotz der enorm günstigen Preise überraschenderweise viel schwerer als an unvergleichlich höhere Summen für beispielsweise Werke der Klassischen Moderne.“ Immerhin, im Albertinum ist ein zarter Anfang gemacht. Auch, um die heute 60- bis 90-jährigen Künstlerinnen in einem Corona-Jahr mit abgesagten Ausstellungen wenigstens etwas zu unterstützen.

Die institutionelle Ausgrenzung von Künstlerinnen müssen die Museen dringend beenden. Kuratoren, die behaupten, „es gibt doch keine Künstlerinnen von Relevanz“, sind denkfaul. Die Forschung hat sie längst widerlegt.

Eine Gesellschaft, die auf Diversität Wert legt, darf amerikanischen Spitzeninstituten nicht die weibliche DDR-Avantgarde überlassen. „Deutsche Museen verschlafen da etwas, während sich US-Museen bereits um Nachlässe und Ankäufe bemühen“, berichtet Hilke Wagner. Die Dresdener Museumsdirektorin bleibt an der Langzeitaufgabe dran. In ihre Bestandsausstellung hat sie inzwischen zahlreiche Künstlerinnen der DDR integriert.

Mehr: Privatsammlung KiCo im Lenbachhaus: Wo bleiben die Künstlerinnen?

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