Galerienrundgang in Hamburg: Augentäuschung auf dem Müll der Meere

Hamburg. In einer berühmt gewordenen Karikatur des amerikanischen Farbfeld-Künstlers Ad Reinhardt geht es höchst aggressiv zur Sache. Er zeichnete 1947 einen Ausstellungsbesucher, der gerade voller Hohn ein abstraktes Bild beschimpft. „Was soll das denn bedeuten“, tönt es aus ihm heraus. Das Bild keilt in einer zweiten Zeichnung aggressiv zurück: „Was bedeutest denn Du?“
Auf dieses Spannungsfeld, den Dialog zwischen den Künsten und ihrem Publikum konzentrieren sich viele der aktuellen Sommerausstellungen in Hamburg, die an diesem Wochenende mit einem Fest auf der Fleetinsel, im Herzen der Altstadt, auf sich aufmerksam machen.
Das hanseatische Publikum ist nach der Pandemie noch immer sehr zurückhaltend; mit dem Fest sollen Neugier und Interesse geweckt werden. Das Galerienhaus in der Admiralitätstraße lädt also ein und stellt viele Fragen. Die meisten haben mit Wahrnehmung zu tun.
Kinetische Malerei auf Video
Der Galerist Holger Pries nutzt das Fest zur Eröffnung einer Ausstellung mit Arbeiten der Hamburgerin Claudia Pegel. Sie schaut in Trompe- l’oeil-Manier auf die Welt. Pegel arbeitet in der Traditionslinie der Surrealisten, bringt ein fliegendes Toastbrot mit einer Honigbiene zusammen und fragt damit auf 38 x 44 Zentimetern nach dem Zusammenhang von Honiggenuss, Bienenfleiß und dem möglicherweise nahenden Ende der Insekten (4300 Euro).
Ein augentäuschend naturalistisch gemaltes Papierboot lässt sie auf dem gesammelten Müll der Meere stranden (5300 Euro); alte Stahlstiche ergänzt sie malerisch mit absurden kleinen Geschichten (jeweils 580 Euro). Es ist ein Clash of Cultures en miniature. Gegensätze ziehen sich an, da trösten malerische Ironie und Humor kaum noch, so bitterböse sind ihre Motive.

Das Sommerfest soll Aufmerksamkeit erregen; die Termine der Galerien sind gleichwohl nicht koordiniert. So schließt die Galerie Karin Günther ihre Ausstellung mit aktuellen Werken von Christiane Blattmann schon nach dem Wochenende. Die minimalistischen „Watersheds" haben Museumsqualität. Es handelt sich um zusammengefügte, etwa menschengroße Segmente von Regenrohren aus Zink, die aus dem Nichts kommen und in ein Nichts führen. Sie kosten jeweils um 10.000 Euro. Dazu passt der Blick aus den großen Fenstern des Ausstellungsraums. Er geht auf das Wasser der Gracht.
Ganz oben im Galerienhaus residiert die Galerie Mathias Güntner. In diesem Jahr jährt sich das 20-jährige Jubiläum an diesem Platz. Auch hier geht es um Wahrnehmung und um Erinnerung. Von Jan Köchermann hängt ein kleiner Holzkasten mit einem nachgebauten altmodischen Zugabteil an der Wand. Am Zugfenster zieht die titelgebende Strecke „Passau–Welz“ auf einem Minimonitor vorbei, der Fahrtwind bewegt den Vorhang ganz leicht. Güntner erwartet 6800 Euro für die Arbeit.
Von Franziska Reinbothe, die ganz auf Material, Licht und Farbe setzt, zeigt Güntner eine 170 x 130 cm große Arbeit aus strahlendgelbem Chiffon. Das große Format täuscht auf überraschende Weise die Augen. Was zuerst wie Trompe l‘oeil aussieht, ist tatsächlich raffiniert geraffter Stoff, der sich selbst repräsentiert. Kostenpunkt: 7500 Euro.
Eine in Deutschland noch unentdeckte Großmeisterin der digitalen Künste präsentiert die Galerie Sfeir-Semler in der Ausstellung „Fragments of time“. Die 1936 in Jerusalem geborene Malerin Samia Halaby studierte in den USA, zählt mit zu den Ersten, die computergenerierte Bilder produzierten. Die ausgestellten „Kinetic Paintings“, streng an zwei Wänden aufgereihte Videoarbeiten, kosten jeweils 10.000 Dollar. Ihre farbstarke abstrakte Malerei, ebenfalls in überzeugender Museumsqualität, wird von Sfeir-Semler für Preise von 60.000 bis 100.000 Dollar angeboten.
„Carrier“ heißt die Ausstellung der Produzentengalerie. Sie umfasst Klassiker der Galerie wie Olaf Metzel. In seiner zweiteiligen Aluminiumarbeit „postfaktisch“ von 2017 setzt er sich kraftvoll mit den Machtverhältnissen im öffentlichen Raum auseinander. Sie soll 48.000 Euro kosten. Ulla von Brandenburgs in den Raum gehängte textile Serie der großen Quilts nimmt das Thema der im Alltag allseits verborgenen Geschichten auf. Sie berichten über Zwänge, Hoffnungen und Hoffnungslosigkeit.

Und die Deichtorhallen versuchen all das zu toppen. Das öffentliche Museum wagt sich an die Frage der Fragen: Wie überleben? „Survival in the 21st century“ heißt die Ausstellung, in der schon die Buchstaben des Titels immerhin äußerst elegant aus der Reihe tanzen. Das Wort „Überleben“ ist zur Sicherheit schon mal durchgestrichen. Zur Sicherheit? Die Ausstellung kennt alle Fragen, aber keine verbindlichen Antworten. Wie auch.
Als Katalog wird ein „Manual for survival“ zur Verfügung gestellt, eine Kompilation mit Anregungen und immer wieder dem Hinweis, dass eine gelungene Kommunikation keine Einbahnstraße ist, sondern der Weg zur Lösung von Problemen. Das gilt selbst bei Weltproblemen. So wird aus der Ausstellung ein Großraumseminar, das mal gelehrige Kunst ist, mal oberlehrerhaft den Arbeitsstand in der Kunst zum Thema Überleben auffächert.

Galerie Holger Pries: „Parade“, bis 21. Juli
Sammlung Falckenberg: „Passage“, bis 15. September
Galerie Karin Günther: „Watersheds“, bis 7. Juli
Galerie Mathias Güntner: „piece of cake#1”, bis 6. Juli
Galerie Sfeir-Semler: „Fragments of time”, bis 24. August
Produzentengalerie: „Carrier“, bis 18. Juli 2024
Deichtorhallen: „Survival in the 21st century“, bis 5. November
» Lesen Sie auch: Weniger Konkurrenz als in Zürich und Paris






