Künstlerporträt Igshaan Adams: Universum für die Wand gewebt

Perlen und Muscheln spielen auf die bescheidene Deko in den Häusern der Townships an.
Kapstadt. Textilkunst ist in Afrika en vogue und dringt von hier aus in die internationale Museums- und Galerieszene vor. Einer ihrer originellsten Vertreter ist der Südafrikaner Igshaan Adams. Seine Tapisserien sind hochkomplexe, außerordentlich ästhetische Meisterwerke des Genres.
Momentan unterhält er seine Werkstatt in vier großen Räumen im Zeitz MOCAA, jenem Kapstädter Museum, das Pumas Ex-CEO Jochen Zeitz initiierte. Hier kann jede Besucherin dem Künstler bei seiner Arbeit zusehen. Bei einem Atelierbesuch erklärt er dem Handelsblatt, wie seine in aller Welt gefeierten poetischen Wandteppiche entstehen.
Rund 20 Mitarbeitende sind am Werk, ein großer Webstuhl ist aufgebaut, an dem fünf Frauen nach seinen Vorlagen weben. In einem anderen Raum sind spektakulär all die Materialien gestapelt, die er verwendet: Garnrollen aus recycelter Wolle, Baumwolle, Polyester, Mohair, dazu Kisten mit Perlen, Muscheln, Knochen, Goldkettchen, aber auch Linoleum, Draht, getrockneten Pflanzen. Dieser vielteilige Materialschatz ist zugleich Werkzeug und Inhalt der kunstvollen Webarbeiten. Jedes Element hat eine Bedeutung, die auf die Geschichte Südafrikas verweist, von der Apartheid bis heute.
Politisches, Religiöses, Rassistisches und Spirituelles ist dabei im Spiel. Igshaan Adams Tapisserien bergen im Subtext viele Erzählungen aus dem Township bei Kapstadt, in dem er aufwuchs. Teils wirken die Wandteppiche wie Luftaufnahmen breiter Flüsse, oszillieren wie mythische Landschaften. Andere enthalten Spuren urbaner Raster, geheimer Gänge, Fußwege, die die Bewohner zurücklegten, um Kontakte zu Nachbargemeinden zu halten - was das Apartheidregime einst unterbinden wollte.
Die Perlen, Kettchen und Muscheln sind Hinweise darauf, mit welch bescheidenen Mitteln die Bewohner ihre ärmlichen Unterkünfte aufhübschen, erklärt Adams. Linoleum-Elemente verweisen auf Spuren allgegenwärtiger abgetretener Fußböden. Ab und zu gibt es auch Hinweise auf muslimische Gebetsteppiche, auch sie mit Gebrauchsspuren.

„In den Tapisserien verstecken sich Spuren geheimer Fußwege. Jeder soll seinen eigenen Weg finden.“
Ein quirliges Universum, in dem die verborgenen Hinweise auf Armut, Religion und Unterdrückung wie durch Zauberhand zu einem ästhetischen Ereignis werden. Für den Künstler allerdings bilden sie seine Heimat ab.
Die meisten Betrachter bewundern lediglich die Schönheit seiner Tapisserien, ohne diese verborgenen Details entschlüsseln zu können. Stört ihn das nicht? Keinesfalls, beteuert Adams. Igshaan Adams wurde 1982 während des Apartheid-Regimes in einem Township bei Kapstadt geboren – in einer muslimischen Community, aber von christlichen Großeltern erzogen. Mit malaiischen Wurzeln ist er weder schwarz noch weiß, eine „person of color“, ein Farbiger.
Zum Problem wurde in der muslimischen Gemeinde seine Homosexualität. Er erzählt von einer konfliktreichen Jugend, die er aber überwunden habe. „Heute kann ich meine Homosexualität problemlos leben. Ich habe einen weißen Lebenspartner.“ Der ist zugleich sein Ateliermanager.
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Der Kontakt zur muslimischen Gemeinde blieb eng. Alle seine Mitarbeiter stammen von dort, Freunde, Cousins und Geschwister. Auch Adams Mutter gehört zur Mannschaft. Sie näht die großen Teile zusammen.
Seine künstlerische Ausbildung erhielt Adams - da aus einem Township gebürtig - nicht an der Kunsthochschule, sondern in einer Highschool. Dort besuchte er eine Mixed media-Klasse und begann zunächst mit Malerei. Igshaan Adams schwenkte dann aber sehr schnell um zur Arbeit mit Stoffen, denn, „ich war von Textilien und Textilarbeitern umgeben“. Obwohl das Textile eher dem Handwerk, als der hohen Kunst zugerechnet wird, entschied er sich für die textile Welt – und hatte sehr schnell Erfolg damit.
Die Kapstädter Galerie Blank Projects nahm ihn bereits 2012 unter ihre Fittiche und stellte seine Arbeiten regelmäßig aus. 2020 kam die renommierte New Yorker Galerie Casey Kaplan hinzu. 2022 hatte er einen Auftritt auf der Biennale von Venedig.

Etwa 20 Personen arbeiten hier, viele aus der Familie von Igshaan Adams.
Inzwischen erzielen seine Tapisserien sechsstellige Preise, wurden von Museen in England und USA erworben. So eifrig, dass sein Galerist Jonathan Garnham inzwischen die Sorge umtreibt, alle wichtigen Adams-Arbeiten könnten außer Landes gehen. Auf der letzten Kapstädter Kunstmesse hatte Garnham freilich Glück; ein lokaler Sammler erwarb einen großen Wandteppich.
Die Tapisserien baut Adams auch zu spektakulären Installationen zusammen, ergänzt sie durch „Cloud!-Skulpturen. Das sind luftig fragile Gebilde aus Draht, Mohair, Perlen oder Muscheln, die von der Decke hängen. Aktuell arbeitet Adams an einem Opus Magnum. Er wurde von einer angesehenen Biennale eingeladen, auf der er eine monumentale Tapisserie zeigen möchte, die 18 mal 12 Meter misst.
Vorarbeiten mit Besen und Wischmopp
Dem Handelsblatt erklärt er, wie er die Arbeit vorbereitet. Statt Skizzen auf Papier legt er ein riesiges Stück Stoff in den Maßen der zukünftigen Arbeit auf den Boden und „bemalt“ es dick mit Farbe. Statt Pinsel nimmt er Besen und Wischmopp. Darauf wird ein ebenso großes Stück Plastikplane gelegt und auf die Farbe gedrückt. Dieser Abklatsch auf Plastikfolie ist dann jene „Skizze“ nach der gewebt wird. Doch der Künstler nimmt immer wieder Veränderungen vor.
An einer Wand entdeckt man auch noch ganz frühe Arbeiten: „Das sind Werke, die ich zurückbehielt, weil ich sie nicht gelungen fand“. Hier sehe man, dass sich seine Weberei enorm entwickelt habe; sie sei komplexer und feiner geworden. „Ich überlege“, sagt er, „ob ich demnächst frühe und aktuelle Arbeiten kombiniere“.

Eine Ausstellung im Art Institute Chicago hatte den Titel „Desire Line“. Was bedeutet das? „Wie mit den Spuren der – in den Tapisserien versteckten – geheimen Fußwege möchte ich mit meiner Arbeit allen Mitgliedern der Community sagen: Finde deinen eigenen Weg, gehe nicht den vorgeschriebenen Weg“. So, wie er seinen Weg gegangen ist.
Adams Tapisserien sind bis Ende des Jahres in Sidney in der Art Gallery of NSW ausgestellt.





