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  4. In Berlin schwelt der urheberrechtliche Streit um eine dritte Version eines bekannten Bildes von Martin Kippenberger

Urheberrecht von Martin KippenbergerAufregung um einen Auftragsmaler

Das Haus am Lützowplatz in Berlin zeigt eine dritte Version von Martin Kippenbergers bekanntem Bild „Paris Bar“ – gemalt von einem Auftragsmaler. Aspekte eines Bilderstreits.Christian Herchenröder 02.02.2022 - 08:05 Uhr Artikel anhören

Der Auftragsmaler mit „Paris Bar“ (Variante 1) und vor einem ebenfalls von ihm gemalten „Basic Instinct“-Plakat stehend, im Juli 1992.

Foto: Rasit Karabas

Berlin. Zwei Fassungen von Martin Kippenbergers Gemälde „Paris Bar“ haben Kunstmarkt-Geschichte geschrieben. Die erste, 1992 entstandene Version wurde im Oktober 2009 bei Christie’s für brutto 2,28 Millionen Pfund (damals 2,5 Millionen Euro) einem amerikanischen Sammler zugeschlagen.

Die Zweitfassung, in der das Interieur des Berliner Szenelokals in erweiterter Form mit Bild im Bild dargestellt wurde, hatte der Pariser Megasammler François Pinault im Oktober 2007 bei Phillips für 636.000 Pfund ersteigert. Heute hängt sie in Pinaults Pariser Privatmuseum in der ehemaligen Börse. Beide Fassungen sind keine eigenhändigen Werke. Kippenberger hatte sie bei Götz Valien, einem Plakatmaler aus der Werkstatt der Werner Werbung in Auftrag gegeben.

Jetzt ist um eine postume dritte Fassung aus dem Jahr 2010, mit der ein Auftragsmaler auf seine Autorschaft der Serie pocht, ein Bilderstreit entbrannt. In den Berliner Kunsträumen Haus am Lützowplatz wurde Valien eine Ausstellung eingerichtet, in der die 2010 entstandene „Variante 3“ neben anderen Bildern des zum Kunstmaler mutierten Werbemalers hängt.

Der Streit entzündet sich am Urheberrecht. Wer ist der eigentliche Schöpfer dieses Bildes? Der 1997 gestorbene Künstler Kippenberger, der mit Fotos und Anweisungen das Bild bestellte, oder der ausführende Maler Valien?

Seit dem Werkstattbetrieb der großen Meister von Raffael über Rubens bis Goya sind Erkundung und Bestimmung der Urheberschaft fließend. In der Reproduktions-Grafik des 16. bis 19. Jahrhunderts wird der Bild-Erfinder mit dem „invenit“ genannt.

Künstler des 20. Jahrhunderts heben diese Unterscheidung auf: nicht mehr die Künstlerhand ist entscheidend, sondern die Kunst konstituierende Idee, die eine Skizze, ein Foto oder auch eine mündliche Mitteilung sein kann. Autor ist dann der beauftragende, das entstehende Werk akzeptierende Künstler und nicht der, der es rein handwerklich nach der Vorgabe seines Ideenträgers ausführt.

„Paris Bar“ (Variante 3) entstand 1993 bis 2010 in Acryl auf Baumwoll in den Maßen 281 x 381 cm.

Foto: Götz Valien. Foto: Reinhard Görner

Wollte man hier rückwirkend zwischen Auftraggeber und Ausführenden unterscheiden, müssten ganze Werkkomplexe, die in Andy Warhols Factory entstanden, von alpenländischen Bildschnitzern und einem Heer von Werkstattmalern für Jeff Koons gearbeitete Werke verteufelt werden. Deren Autorschaft ist bis heute unumstritten.

In eine andere Kategorie fallen die Arbeiten der Amerikanerin Elaine Sturtevant, die seit den 1960er-Jahren Werke prominenter Künstler wie Warhol, Oldenburg, Indiana wiederholte und sie mit ihrer Signatur versah. Diese Signatur, die eine Aura der Distanz schafft, weist diese Wiederholungen als eigene Werke aus. Appropriation Art heißt diese Kunstrichtung, die sich den Stil anderer Künstler aneignet, die Dopplung aber kenntlich macht.

Den Auftraggeber ausgeblendet

Götz Valien hatte an der Wiener Hochschule für Angewandte Kunst realistische Malerei studiert. Er berichtet jetzt in einem anlässlich der Berliner Ausstellung verfassten 23-seitigen Text minutiös über die Entstehung der Erstfassung der „Paris Bar“. Darin blendet er Kippenberger als Auftraggeber aus und erzählt, dass der Chef der Plakatmalerei ihm im Mai 1992 ein DinA3-Foto mit dem Interieur der Paris Bar als Vorlage für ein Monumentalgemälde mit der Erklärung übergeben habe, er würde ihm „schon vertrauen daraus was zu machen“.

Gemäß dieser Darstellung votiert der Maler dafür, dass die zwei Bilder der Serie eigentlich „Paris Bar - Götz Valien (nach einer Idee von Kippenberger)“ oder „Paris Bar - Götz Valien (Kippenbergers Bildinstallation zeigend)“ heißen müssten.

Im Vordergrund links hängt das Öl- und Acrylgemälde "Kakerlak" von 2013.

Foto: Marcus Schneider

In der Streitfrage um die Urheberschaft, die am 9. Februar in einer Podiumsdiskussion gipfelt, haben sich unvereinbare Positionen etabliert. Hubert Butin, Autor des 2020 publizierten Buches „Kunstfälschung: Das betrügliche Objekt der Begierde“ urteilt: „Das Bild wurde nach Kippenbergers fotografischer Vorlage, nach seinen Angaben und unter seiner Aufsicht angefertigt und abschließend von ihm autorisiert, so dass es als Original (von Martin Kippenberger) zu gelten hat“.

Der Berliner Kunst-Anwalt Peter Raue vertritt die konträre Position, Götz Valien habe „eigenhändig ohne jegliche Mit- oder Einwirkung von Martin Kippenberger seine drei Paris Bar-Bilder-Varianten geschaffen. Damit ist er Alleinurheber aller drei Varianten“.

Millionenbilder als Pate

Der durch die Galerie Gisela Capitain repräsentierte Nachlass von Martin Kippenberger hat einen Einspruch in die Präsentation der dritten Version in der Ausstellung erhoben. Dass er dieses Werk noch einmal angefertigt habe, sei „Beweis dafür, dass er die Bekanntheit von Martin Kippenberger öffentlichkeitswirksam nutzt“.

Das ist ein Aspekt, der nicht von der Hand zu weisen ist. Zwei Millionenbilder stehen Pate für eine als „Variante 3“ bezeichnete Fassung, die dem Markt als „Triplicat“ zugeführt werden könnte. Es bleibt ein weltweit bekanntes, von Kippenberger gewähltes und mit seinem Namen untrennbar verbundenes Motiv gleichwohl. Zugespitzt könnte man sagen: Hier bedient sich ein notorisch Unterbewerteter des Weltruhms eines Blue chip-Künstlers.

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Die Berliner Ausstellung allerdings zeigt einen Künstler, der über einen plakativen realistischen Stil nicht hinausgewachsen ist. Da hängen neben anderen Bildern in Öl- und Acryltechnik ein süßlich geschöntes Porträt von Angela Merkel, das Bildnis einer Pin up-Blonden, an der Kakerlaken hochkriechen, eine Traumlandschaft mit totem Mädchen, der auf Nine-Eleven anspielende Blick aus einem Apartment auf ein einfliegendes Flugzeug, eine farbverfremdete Kopie der Botticelli-Venus. Das alles ist versiert gemalt, hat narrative Elemente, aber eine Stimulation des Auges und des Geistes durch das vollkommene Kunstwerk fehlt.

Die Ausstellung „Götz Valien Lieber Maler“ läuft im HaL Haus am Lützowplatz 9 in Berlin-Tiergarten bis 27. März 2022.

Mehr: Martin Kippenberger: Bonn erinnert an einen Künstler, der die Blamage nicht scheute

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