Asia Techonomics: Die Exportflut aus China droht

In der wöchentlichen Kolumne schreiben Handelsblatt-Korrespondenten im Wechsel über Innovations- und Wirtschaftstrends in Asien.
Vor einem Jahr gingen in Chinas Städten Tausende auf die Straße. Die meisten protestierten gegen die rigorosen Coronaregeln, manche forderten mehr Freiheit, einzelne sogar den Sturz von Staats- und Parteichef Xi Jinping. Die Behörden ließen die überwiegend jungen Menschen zunächst gewähren. Doch im Nachgang wurden die Teilnehmer mit einer massiven Einschüchterungskampagne ruhiggestellt, nicht wenige wurden zur Abschreckung ins Gefängnis gesteckt. Kurz darauf schaffte die Staatsführung von einem Tag auf den anderen die Null-Covid-Politik ab.
Viele im Westen glaubten, dass die Proteste Auslöser der 180-Grad-Wende waren. Tatsächlich dürften jedoch der drastische Einbruch der chinesischen Wirtschaft und die desolate Finanzlage der Provinzen mehr Einfluss auf die Entscheidung der kommunistischen Staatsführung gehabt haben. Es fehlte schlicht das Geld, um das absurde Regime aus Massentests, zahllosen Quarantänezentren und wochenlangen Lockdowns aufrechtzuerhalten – überwacht von Millionen „Dabai“, den „großen Weißen“ in Ganzkörper-Schutzanzügen und Masken.
Von den Folgen der erbarmungslosen Null-Covid-Politik hat sich die Volksrepublik noch nicht erholt. Nicht nur die chinesischen Unternehmen sind zutiefst verunsichert. Die ausländischen Direktinvestitionen waren zuletzt zum ersten Mal seit Datenerhebung 1998 negativ. Die massiven staatlichen Eingriffe im vergangenen Jahr haben vielen westlichen Unternehmenslenkern die politischen Risiken in China schonungslos vor Augen geführt. Zumal die Zeiten hoher Wachstumsraten in der Volksrepublik vorbei sind.
China: Das alte Wachstumsmodell funktioniert nicht mehr
Die Pandemie, und wie sie von der Staatsführung bekämpft wurde, ist jedoch nicht die Ursache für die aktuelle Wachstumsschwäche. Schon seit Längerem ist klar, dass das alte Wachstumsmodell, getrieben von massiven Investitionen in Infrastruktur und Immobilien, nicht mehr funktioniert.
Geht es nach Chinas Staatsführung, sollen Zukunftsindustrien wie Batterietechnik, Elektroautos und erneuerbare Energien einen neuen Wachstumsschub bringen. Auch diese Entwicklung schiebt der Staat nun mit hohen Investitionen an. Staats- und Parteichef Xi Jinping forciert den größten Umbau der chinesischen Wirtschaft seit Jahrzehnten. Ob sein Plan aufgeht, ist jedoch unklar.
Experten warnen vor großen Überkapazitäten in der Produktion
Schon jetzt warnen Experten vor deutlichen Überkapazitäten. Mit den Kapazitäten, die derzeit in der Industrieproduktion etwa im Bereich erneuerbarer Energien oder Elektromobilität entstehen, könnten 60 Prozent der globalen Nachfrage gedeckt werden. Im Inland wird nur ein Bruchteil davon abgesetzt. Früher oder später dürften die dort produzierten Solarpaneele, Windturbinen und E-Autos also die Weltmärkte fluten.
Noch fehlen dazu die Frachtschiffe. Doch Chinas Reedereien bauen inzwischen die größten Containerschiffe der Welt. Ihre Auftragsbücher sind voll. Besonders die Autoindustrie ist sehr interessiert, auch diesen Teil der Wertschöpfungskette abzusichern. Allein im vergangenen Jahr gingen Bestellungen für 58 Autofrachter ein.
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Der Autobauer BYD, der beim Absatz in China in diesem Jahr Volkswagen überholt hat, zählt zu seinen Geschäftsbereichen neuerdings auch Seefracht und Hafenumschlag. Schon seit dem vergangenen Jahr kooperiert einer der größten chinesischen Autobauer, SAIC, mit der Reederei COSCO und dem Betreiber des Shanghaier Hafens. Die EU versucht sich mit einer Anti-Dumping-Untersuchung von E-Autos „Made in China“ gegen die drohende Exportflut zu stemmen.
Derweil erhoffen sich westliche Firmenlenker und China-Beobachter vom erwarteten Treffen des Zentralkomitees der Kommunistischen Partei (KP) Aufschlüsse darüber, wohin die herrschende Partei das Land lenken will. Beim sogenannten 3. Plenum, das traditionell im Jahr nach dem großen Parteitag stattfindet, trifft das Zentralkomitee wichtige Richtungsentscheidungen für die Wirtschaft. So legte Deng Xiaoping im Dezember 1978 mit seiner Rede den Grundstein für die Reform- und Öffnungspolitik und den folgenden steilen wirtschaftlichen Aufstieg des armen Agrarstaats zur zweitgrößten Volkswirtschaft der Welt.





Bislang allerdings wurde noch kein Termin für das 3. Plenum bekannt gegeben. Sollte es in diesem Jahr nicht stattfinden, wäre das ein weiteres Zeichen, wie intransparent und unberechenbar China unter der Ägide von Xi Jinping geworden ist.
In der Kolumne Asia Techonomics schreiben Sabine Gusbeth, Dana Heide, Martin Kölling und Mathias Peer im Wechsel über Innovations- und Wirtschaftstrends in der dynamischsten Region der Welt.
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