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Kolumne „Out of the box“Moralisches Handeln verkommt zum Mittel der Selbstdarstellung

Wer unmoralisch handelt, wird bestraft, vor allem auf Social Media. Unternehmen versuchen deshalb, dort ihr Image aufzupolieren – und erreichen oft das Gegenteil, warnt Frank Dopheide. 11.06.2024 - 11:39 Uhr
Frank Dopheide ist Gründer und Geschäftsführer der Unternehmensberatung Human Unlimited, die sich auf das Thema „Purpose“ spezialisiert hat. Zuvor war er unter anderem Sprecher der Geschäftsführung der Handelsblatt Media Group und Chairman von Grey Worldwide. Foto: Klawe Rzezcy, Getty Images

Gemeinsame Wertvorstellungen helfen, das Zusammenleben und -arbeiten im Sinne aller zu organisieren. Moral ist wirkungsvoll: Sie hält die Egos im Zaum, den Laden am Laufen und Gesellschaften zusammen. Wer gegen gemeinsame Grundsätze verstößt, wird an den Pranger gestellt, eine seit Jahrhunderten geübte Praxis.

Dabei gilt: je größer das Unternehmen oder das Gehalt, desto größer die Lupe, unter die man genommen wird – alles wird ins grelle Licht der Öffentlichkeit gezerrt. Eine Schmerztherapie, die Behandlungserfolge aufweist: Die Fortschritte in Umgang, Gleichberechtigung und Freiheit sind gewaltig. Allerdings wird die Schraube des Anspruchs immer weitergedreht und setzt Unternehmen unter enorme Spannung.

Gesetzestreue allein genügt hier nicht mehr. Unmoralisches Agieren wird mit einem Shitstorm der Stärke zehn bestraft. Die digitale Welt hat den Pranger zum globalen Gerichtssaal umgebaut. Das Urteil wird in Sekundenschnelle gesprochen und kostet eine Menge: Reputation, Börsenpunkte, Kunden- und Mitarbeiterloyalität. Die Empörungswelle hat schon so manche Führungskraft von Bord gespült.

Dadurch bekommt die Moral einen finanziellen Gegenwert. Sie wird ein Statussymbol. Ein kalkulierbarer „Ansehenswert“, als Gegengewicht zum Profitstreben. Ein Investment, um den eigenen Wert zu erhöhen – auch als Unternehmen.

Das verändert das Wesen der Moral. Sie wird zur Werbebotschaft und Mittel der Selbstdarstellung. Der Antrieb ist nicht mehr, das Richtige zu tun, sondern dafür Applaus zu kassieren. Das treibt mitunter Menschen auf die Barrikaden und Unternehmen in den Wahnsinn.

Digitale Ethik als soziale Währung

Wer in den sozialen Medien das Spiel der Schönen und Reichen nicht mitspielen will, findet in der Moral ein neues Spielfeld. Dort kann sich jeder als „gut“ darstellen, ohne Schönheitsfilter und kostspielige Accessoires. Es dokumentiert für alle sichtbar die Zugehörigkeit zur Gruppe der Guten und erhöht die eigene Attraktivität.

Je gnadenloser die moralischen Verfehlungen adressiert werden, desto höher der Wahrnehmungsgewinn.

Je gnadenloser die moralischen Verfehlungen adressiert werden, desto höher der Wahrnehmungsgewinn. Von Anerkennungssucht getrieben, mutieren Zeitgenossen zu Moralaposteln. Auch im Spiel der Moralisten gibt es eine Weltrangliste. Mit jeder Aktion steigt der eigene Bewunderungsscore. Darunter leidet das Fair Play.

Heute wird jedes Wort auf die Goldwaage und gegen den anderen ausgelegt. Die Moral verliert ihre verbindende Kraft. Sie wird zur Spalt-Axt und treibt Keile zwischen Generationen, Mitarbeiterschaft, Steakliebhaber und Vegetarier.

Die Firmen stehen heute rund um die Uhr unter Rechtfertigungsdruck. Um nicht selbst in den Sturm der Entrüstung zu geraten, sehen sich Firmen genötigt, zu allem und jedem Stellung zu beziehen und moralisch einwandfreies Verhalten zu dokumentieren. Sie haben sich dabei für die Rolle des Sympathisanten entschieden. Ihre Lieblingsdisziplin ist das Flagge zeigen.

Sie hoffen, durch das Einfärben des Markenlogos in Regenbogenfarben moralische Bonuspunkte zu sammeln, ohne großes Risiko. Eine Art visuelle Vorsorge, auch wenn hinter den Kulissen nicht viel dahinter ist. Die Unternehmen machen mit, aber machen es nicht zu ihrer Sache. Die Diversitybeauftragte bekommt einen Platz auf der Homepage, doch im Alltag ist ihr Büro neben dem Kopierer, ohne jeden Gestaltungsraum.

Das provoziert die nächste Empörungswelle: Greenwashing, Pinkwashing, Bluewashing, das volle Farbwaschprogramm. Die Glaubwürdigkeit leidet. Die Geschäftsführung verhandelt über einen Ablasshandel. Die E-Autos im Fuhrpark als Freibrief, um für das nächste Führungskräftetreffen nach Dubai zu fliegen. Das Sponsoringbudget, als sozialer Klingelbeutel, damit bei sensiblen Themen die Kirche im Dorf bleibt.

Dieses Verhalten gießt Öl ins Fegefeuer und treibt die Gegenseite zur Weißglut, die Missionare werden zu Kreuzrittern. Der Ton verschärft sich. Im Kampf der Weltanschauungen werden Worte ans Kreuz genagelt. Ein Gendersternchen kann im Unternehmen Glaubenskriege auslösen. Der Philosoph Philipp Hübl hat diesem Thema ein ganzes Buch gewidmet: das „Moralspektakel“.

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Wie gehen Firmen damit um? Wir können davon ausgehen, dass die Moral weiter an Wert gewinnt. Jedoch ist das Verbindende das Entscheidende.

Purpose und Unternehmenswerte wirken dabei als Knotenpunkte, sie definieren den gemeinsamen Handlungsrahmen und das gemeinschaftliche „Wie“. Damit kann jeder arbeiten und argumentieren, und sie sind jede Diskussion wert.

Mehr: Vorsicht, chronische Transformitis!

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