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KommentarNiedrige Steuern reichen nicht: Johnsons Nachfolger muss Großbritannien neu erfinden

Politisch mag Boris Johnsons Rücktritt dem Land gedient haben, wirtschaftlich löst er keins der vielen Probleme. Sein Nachfolger muss sich mehr einfallen lassen.Torsten Riecke 07.07.2022 - 15:11 Uhr Artikel anhören

Johnson geht, was kommt?

Foto: Reuters

Ohne Drama geht es nicht. Selbst seinen Abgang als britischer Premierminister inszenierte Boris Johnson mit Pauken und Trompeten. Er kämpfte noch um sein Amt, als der Rest des Landes längst genug hatte von dem oft als Politclown kritisierten Charakterdarsteller.

Am Ende musste sich der 58-Jährige jedoch seinem Schicksal fügen und zurücktreten.

Viele Briten werden jetzt aufatmen. Vorbei ist die Zeit, da man zweifeln musste, ob der eigene Premier dem Volk die Wahrheit sagt oder ihm wieder mal etwas vorgaukelt. So hat Johnson es beim Brexit getan, den er erst mit falschen Zahlen durchsetzte und dann als großen Gewinn für sein Land verkaufte. Tatsächlich geht es Großbritannien heute wirtschaftlich schlechter, als es dem Vereinigten Königreich in der EU gehen würde.

Auch als es um die berüchtigten Partys im Regierungssitz während des Corona-Lockdowns ging, hat Johnson es mit der Wahrheit nicht so genau genommen. Dass er dann auch noch einen für sexuelle Übergriffe bekannten Parteifreund erst befördert und dann gedeckt hat, war eine Lüge zu viel. So ist Johnson über sich selbst und seine Charakterschwächen gestolpert.

Fatal für Großbritannien war es jedoch, dass der Premier keinen Plan hatte, um das Land aus der schwersten Wirtschaftskrise seit einem halben Jahrhundert zu führen.

Sein unter dem Label „Levelling up“ bekannter Plan, die Lebensverhältnisse zwischen dem industriell geprägten, ärmeren Norden und dem konservativen, reicheren Süden anzugleichen, blieb auf halber Strecke stecken.

Der britische Premierminister hat am Donnerstag seinen Rücktritt angekündigt. Auch sein Amt als Vorsitzender der konservativen Partei werde er niederlegen, erklärte Johnson. Der Rückhalt für den Premier war in den vergangenen Tagen massiv gesunken.

Am Ende wusste Johnson nicht mehr, ob er die „rote Mauer“ seiner neu hinzugewonnenen Wähler im Norden oder die „blaue Mauer“ der konservativen Stammwähler im Süden verteidigen sollte.

Die im Grunde verdienstvolle Initiative Johnsons, das Land wirtschaftlich zusammenzuführen, scheitert vor allem daran, dass die Lebenshaltungskosten überall aus dem Ruder laufen und die Regierung gar nicht weiß, wem sie zuerst unter die Arme greifen soll.

Chronische Produktivitätsschwäche

Wenn die britische Wirtschaft heute erneut als „kranker Mann Europas“ dasteht, dann zeigen viele auf die hohe Inflation von mehr als neun Prozent und das zum Stillstand gekommene Wirtschaftswachstum.

Der Kern der britischen Misere ist jedoch das geringe Produktivitätswachstum der Wirtschaft von derzeit rund 0,2 Prozent; ein Problem, an dem sich zahlreiche Regierungen bereits die Zähne ausgebissen haben.

Nach Angaben des renommierten National Institute of Economic and Social Research (NIESR) lag das Produktivitätswachstum in Großbritannien seit Ende des Zweiten Weltkriegs unter dem Niveau der anderen führenden Industrienationen. Das Institut führt die Schwäche auf tief sitzende strukturelle Probleme zurück.

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Mit anderen Worten: Großbritannien schafft es bislang nicht, seine Bürger so auszubilden und seine Wirtschaft so zu organisieren, dass die Briten nicht nur in der Finanzwelt der Londoner City reüssieren, sondern auch im verarbeitenden Gewerbe in der Champions League mitspielen können.

Johnson hatte auf dieses Dilemma keine Antwort, sondern wollte mit Steuersenkungen die Wirtschaft aus dem Konjunkturloch holen. Sein Nachfolger muss sich mehr einfallen lassen.

Großbritannien verfügt über einige der besten Universitäten der Welt, London ist das Mekka für Start-ups in Europa, die Tech-Szene boomt. Die Voraussetzungen für einen wirtschaftlichen Neuanfang sind also günstig.

Der kann jedoch nur gelingen, wenn der nächste britische Premier auch das erste Gebot für jede Regierung beachtet: „Do no harm!“ Konkret heißt das eben auch, die negativen Folgen des Brexits so weit wie möglich zu begrenzen. Eine schnelle Einigung mit der EU im Streit über die Handelsgrenze in Nordirland wäre dafür ein guter Anfang.

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Das Land verdient es, kompetent und ernsthaft regiert zu werden. Johnson war dazu nicht in der Lage.

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