Morning Briefing Frauen werden eine tragende Rolle bei der Transformation der Wirtschaft spielen
Guten Morgen liebe Leserinnen und Leser,
das deutsche Grundgesetz, das wir alle im Munde, aber manchmal nicht im Herzen führen, ist sehr klar. „Niemand darf wegen seines Geschlechts benachteiligt werden“, heißt es in Artikel drei. Man erinnert sich an den Satz, wenn man liest: Frauen haben einen Anteil von nur 16,1 Prozent im Vorstand von Dax-Firmen. Und Frauen verdienen knapp 20 Prozent weniger pro Stunde als Männer. Ist nicht mehr als die Hälfte der Bevölkerung weiblich?
Immerhin, es tut sich was. Das liegt an der gesetzlichen Frauenquote, aber auch am autonomen Lernen weißer, älterer Männer wie Bayer-Chef Werner Baumann. Der hat seinem Konzern Geschlechterparität bis 2030 verordnet: „Diverse Teams führen zu besseren Ergebnissen. Und echte Vielfalt geht nur mit Vorgaben.“
Beim anstehenden Wandel der Wirtschaft – „Transformation“! – werden Frauen eine tragende Rolle spielen. Managerinnen wie Victoria Ossadnik von Eon und Constanze Hufenbecher von Infineon beispielsweise, die zu Vorständinnen für Digitalisierung aufsteigen. Konzerne wie die Deutsche Bahn aber, wo just die für dieses Thema zuständige Sabina Jeschke vom Männervorstandsbund verdrängt wurde, geraten aufs Abstellgleis.
In dieser Wochenendausgabe stellt das Handelsblatt 100 Frauen vor, die das Land voranbringen. Etwa die neue Merck-Chefin Belén Garijo, SAP-Personalchefin Sabine Bendiek in ihrer neuen Rolle als Chief Operating Officer, die Gründerin Verena Pausder, Douglas-Chefin Tina Müller mit ihrem 50-Prozent-weiblich-Vorstand oder Katharina Kreitz vom Start-up Vectoflow. Sogar beim Männer-Pflichtprogramm „Sportschau“ sind künftig im Dreier-Team Moderatorinnen in der Überzahl: Esther Sedlaczek von Sky ersetzt Stammkraft Matthias Opdenhövel.

Im Editorial schreibt meine Kollegin Kirsten Ludowig, sie sei stolz darauf, in einem Land zu leben, dessen Regierungschefin Angela Merkel neun Mal von „Forbes“ zur „mächtigsten Frau der Welt“ gewählt wurde. Nicht stolz ist sie auf Unterbezahlung von Frauen und deren Unterpräsenz in leitenden Funktionen.
Die aktuelle 100-Köpfe-Aktion begründet Ludowig mit der Einschätzung, dass „diese Frauen für das stehen, was Frauen in Deutschland erreichen können – aber leider noch zu wenige wirklich erreichen.“ Sie wünscht sich eine Zeit ohne Frauenquoten, Weltfrauentag, Equal-Pay-Tag und Entgelttransparenzgesetz, alles aus einem einzigen Grund: „Weil wir es nicht mehr brauchen.“ Kirsten Ludowig ist am 1. März stellvertretende Chefredakteurin geworden – die erste Frau im journalistischen Olymp des Handelsblatts seit Gründung vor 75 Jahren.
Erstmals kommt ein wichtiger neuer Exportkontrollmechanismus der EU zum Einsatz: Damit stoppt Italien den Export von Corona-Impfstoffen der Firma Astra-Zeneca nach Australien. Es geht um 250.000 Dosen – und um die neue harte Linie des jüngst eingesetzten Premiers Mario Draghi. Er ist wie die EU-Kommission der Meinung, dass der britisch-schwedische Pharmakonzern seine geschlossenen Verträge nicht einhält und mit Lieferungen in EU-Länder knausert, andere Staaten dagegen besser bedient. Der CDU-Europa-Abgeordnete Peter Liese begrüßt die römische Abfuhr: „Man setzt sich die Sauerstoffmaske zuerst selbst auf, dann hilft man anderen.“
In Deutschland hat die Bundesregierung 13 Monate nach Ausbruch der Pandemie tatsächlich das Instrument „Taskforce“ entdeckt. Sie soll sich um die Logistik für zügige Schnelltests kümmern und wird von sieben Ministerien bestückt. Insbesondere das CSU-CDU-Duo an der Spitze sorgt im Netz für Heiterkeitsanfälle: Hier teilen sich Maut-Pannenminister Andreas Scheuer aus dem Verkehrsressort und Corona-Pannenminister Jens Spahn aus dem Gesundheitsressort die Arbeit. Beim Wahrnehmen dieser Personalie habe er sich wie in einer „Comedy-Sendung“ gefühlt, sagt Grünen-Chef Robert Habeck der „Welt“ – diese beiden Ministerien seien „nun wahrlich nicht die Leistungsträger dieser Regierung“.

Eine der einflussreichsten deutschen Museumsleiterinnen ist Marion Ackermann, Generaldirektorin der Staatlichen Kunstsammlungen Dresden. Das Jahresmotto ihrer 15 Häuser lautet: „Einsamkeit und Empathie“. Im Gespräch mit meinen Kollegen Peter Brors und Susanne Schreiber sagt Ackermann über…
- …die wegen der Pandemie geschlossenen Museen: „Da ist einerseits der erzwungene Stillstand. Andererseits empfinde ich eine unglaubliche Beschleunigung, und zwar mit Blick auf die Vielzahl der aufgeladenen gesellschaftlichen Debatten.“
- …die Corona-Politik: „Dass wir auf staatliche Anordnung zur Stilllegung unseres Betriebs ohne jeden Spielraum für individuelle Maßnahmen vorsichtiger Wiedereröffnung gezwungen werden, ist nicht leicht zu verarbeiten. Dieser autoritäre Ansatz schmerzt.“
- …über die Hoffnung, die 2019 geraubten Juwelen von August dem Starken tauchten wieder auf: „Juwelen können sich anders als die ebenfalls geraubte und später eingeschmolzene Berliner Goldmünze nicht in Nichts auflösen. Es ist sicher eine Frage der Zeit.“
Vielleicht wird eine Millionensumme die richtige Größenordnung als Rückkehrhilfe sein.
Mit dem Mythos von Donald Trumps angeblicher Wohlstandsmehrung räumt Ökonomie-Professor Joseph Stiglitz im Handelsblatt-Gespräch auf. Die Republikaner hätten Milliardäre und Firmen mit massiven Steuersenkungen gefördert, die zu rekordträchtigen Haushaltsdefiziten führten – aber die versprochenen Investitionen und das Wachstum kamen nie zustande. Das 1,9-Billionen-Dollar-Programm von Joe Biden werde „dringend benötigt“, so der Keynesianer, „es wird die Wirtschaft besser stützen“.
Inflationsgefahren sieht Stiglitz nicht. Es wäre aber gut, meint er, „wenn wir zu normaleren Zinsniveaus von zwei, drei oder sogar vier Prozent zurückkehren würden“. Preise des Kapitals von Null oder unter Null seien „eindeutig eine Verzerrung“, das führe nur „zu Perversionen an den Märkten“. Gestern wies US-Notenbankchef Jerome Powell höhere Zinsen weit von sich, für 2021 sei nicht mehr mit Vollbeschäftigung zu rechnen. Wall Street quittierte das Statement mit Kursverlusten.
Mein Kulturtipp zum Wochenende: „Eurotrash“, der neue Roman von Christian Kracht, der die Feuilletonisten der Republik derzeit zu einem wahren Überbietungswettbewerb der Deutungen und Spiegelungen inspiriert. Man macht sich am besten selbst einen Eindruck, wie der Jung-Star des vor 25 Jahren erschienenen Debüts „Faserland“ nun im Vaterland familiärer Nazibewältigung landet. Wie ein Darling des literarischen Betriebs, dem man eine Drift nach rechts unterstellte, nun ein Thema der „Linken“ verarbeitet.
So folgt man also einem Schweizer Roadtrip der Romanfigur Christian Kracht, der so heißt wie Autor Christan Kracht, der so heißt wie sein Vater Christian Kracht, der mal eine große Nummer bei Springer war, aber lieber „Philip“ hieß. Bei dieser Dekonstruktion der Realität, auch der kulturellen, kann nur eine ziemlich durchgeknallte Mutter helfen, die „Bunte“ liest und Flaubert liebt. So kommt es, dass Kracht-Kracht mit ihr und 600.000 Franken in der Plastiktüte durchs Land reist, einem soft landing entgegen. Und der Zürichsee glitzert.

Und dann ist da noch Banksy, hoch dotierter Street-Art-Künstler, der ein Graffito an die Wand eines früheren Gefängnisses im britischen Reading gebracht hat. Gezeigt wird ein Mann in Sträflingsmontur, der sich an einem Strick abseilt, an dessen Ende wiederum eine Schreibmaschine hängt. In einem Video zeigt der nur von hinten gefilmte Banksy das Making-Of der Arbeit und bettet das Ganze in eine Folge des Fernsehmalkurses „The Joy of Painting“ des US-Malers und Moderators Bob Ross. Es wirkt so, als ob der 1995 verstorbene Ross die Arbeitsschritte Banksys kommentiert. In der einstigen Haftanstalt in Reading saß übrigens auch Oscar Wilde ein, der einen Rat fürs Wochenende hat: „Nicht die Vollkommenen, sondern die Unvollkommenen brauchen Liebe.“
Ich wünsche Ihnen entspannte, liebevolle Tage.
Es grüßt Sie herzlich
Ihr
Hans-Jürgen Jakobs
Senior Editor
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