Bundeshaushaltsentwurf Vorrang für Investitionen: Finanzminister Scholz plant eine Milliardenoffensive

Der Bundesfinanzminister will sich nicht vorwerfen lassen zu knausern – und arbeitet an einer Milliardenoffensive.
Berlin Es war eine sehr prominent besetzte Arbeitsgruppe, die sich am Donnerstagnachmittag traf. Die beiden Fraktionsvorsitzenden von Union und SPD, Ralph Brinkhaus (CDU) und Rolf Mützenich (SPD), gehören ihr an, genauso Kanzleramtsminister Helge Braun (CDU) und Bundesfinanzminister Olaf Scholz (SPD). Die Gruppe hatte vom Koalitionsausschuss den Auftrag erhalten, „neue Investitionsbedarfe zu identifizieren und für deren Realisierung weitere Maßnahmen der Planungsbeschleunigung zu ergreifen“. Kurzum: Es geht um einen Plan, wie Deutschland endlich seine Investitionslücke schließen kann.
Die Bundesregierung steht seit Jahren auch international in der Kritik, dass sie viel zu wenig für Investitionen ausgebe. Die neuen SPD-Chefs Saskia Esken und Norbert Walter-Borjans waren auch mit dem Versprechen angetreten, die Investitionen deutlich zu erhöhen. Der frühere nordrhein-westfälische Finanzminister gehört ebenfalls der Arbeitsgruppe an. Konstruktiv sei das erste Treffen verlaufen, hieß es am Donnerstag. Ende Februar soll ein zweites folgen.
Finanzminister Scholz ist derweil dabei, die Investitionsoffensive in Zahlen zu gießen. Denn wenig ärgert ihn so sehr wie der Vorwurf, er knausere. Derzeit arbeiten seine Beamten am Haushaltsentwurf 2021 und am Finanzplan bis 2024. Die Eckwerte sollen am 11. März im Kabinett beschlossen werden. Die Stoßrichtung, die sich Scholz für das Zahlenwerk wünscht, zeichnet sich bereits ab: Vorrang für Investitionen. Der Vizekanzler plant, die Investitionen der kommenden vier Jahre um insgesamt 12,3 Milliarden Euro im Vergleich zur bisherigen Planung anzuheben. Das geht aus einer internen Präsentation des Finanzministeriums zur Aufstellung des Haushalts hervor, die dem Handelsblatt vorliegt.
Demnach will Scholz zwischen 2021 bis 2024 jährlich 42,9 Milliarden Euro investieren. Bisher waren in der Finanzplanung aus dem vergangenen Sommer lediglich knapp 40 Milliarden Euro vorgesehen. Für welche Investitionen genau die zusätzlichen Milliarden genutzt werden sollen, ist in dem Papier noch nicht aufgeschlüsselt. Darüber müsste sich die Große Koalition im Rahmen der Haushaltsaufstellung verständigen.
Eines aber wird in dem Papier des Ministeriums deutlich: Scholz will den zusätzlichen Spielraum, der durch den Haushaltsüberschuss 2019 entstanden ist, fast vollständig für Investitionen ausgeben. Der Finanzminister kann rund 17 Milliarden Euro durch die gute Kassenlage verteilen. Diese „zusätzlichen Spielräume“ sollten „vorrangig für die Verstetigung der Investitionsausgaben“ genutzt werden, heißt es im Papier. Sprich: Andere Wünsche wie etwa die von der Union geforderte Steuersenkung für Bürger und Unternehmen wären somit nicht mehr drin. Oder sie fiele eher klein aus: Wenn Scholz 12,3 Milliarden Euro für Investitionen reservieren will, blieben nur knapp fünf Milliarden Euro für andere Wünsche.
Bei der Union werden die Pläne deshalb kaum auf Begeisterung stoßen. Zwar finden CDU und CSU höhere Investitionen grundsätzlich nicht verkehrt. Doch schon jetzt fließen viele Milliarden an Investitionsmitteln nicht ab. Noch mehr Geld für Investitionen zu reservieren ist aus Sicht der Union deswegen wenig sinnvoll. Der Verdacht: Scholz geht es nicht nur darum, öffentlichkeitswirksam mit einer Investitionsoffensive zu punkten. Er wolle auch neue Wünsche der Union abwehren, indem er alles Geld verplant.
Die Wunschliste der Union ist lang: Sie fordert, über eine Absenkung der EEG-Umlage Stromkunden zu entlasten, zudem will sie den Solidaritätszuschlag ganz abschaffen, darüber hinaus untere und mittlere Einkommen entlasten. Auch fordert die Union Steuersenkungen für Unternehmen, da diese im internationalen Vergleich inzwischen außerordentlich hohe Steuern zahlen müssen.
Scholz warnt vor überzogenen Forderungen
Für wenig Begeisterung wird im Unionslager auch sorgen, dass Scholz die Verteidigungsausgaben im Verhältnis zum BIP nur konstant halten will, statt sie wie einst zugesagt bis 2024 auf 1,5 Prozent des BIP zu erhöhen. Um dieses Ziel zu erreichen, wäre allerdings ein immenser Kraftakt notwendig: Allein um das 1,5-Prozent-Ziel zu schaffen, wie es den Nato-Partnern zugesagt war, müsste der Bund laut einem Papier der Unionsfraktion zwischen 2021 und 2024 rund 30 Milliarden Euro mehr für Verteidigung ausgeben. Und da Stand jetzt die Entwicklungsausgaben an die Mittel für Verteidigung gebunden sind, kämen noch einige Milliarden obendrauf.
Dazu kommen weitere Projekte, die noch nicht vollständig finanziert sind. Die Grundrente etwa wird bis 2024 rund 6,2 Milliarden Euro kosten. Der 2021 notwendige Abbau der kalten Progression und die Anhebung des steuerlichen Grundfreibetrags kosten laut dem Unionspapier allein noch mal zwölf Milliarden Euro. Und dann ist da noch der Kohleausstieg, für den der Bund bis 2038 rund 40 Milliarden Euro einrechnet.
Scholz warnt seine Kabinettskollegen deshalb schon mal vorsorglich vor neuen Wünschen. Es seien bereits „Bremsspuren erkennbar“ im Haushalt, heißt es im Papier des Bundesfinanzministeriums. Die Steuereinnahmen steigen 2020 wohl nicht mehr. Gleichzeitig hätten sich viele „prioritäre Maßnahmen“ der Großen Koalition, die bereits umgesetzt wurden, nun als „deutlich“ teurer erwiesen als geplant. Die prioritären Maßnahmen des Koalitionsvertrages in Höhe von 46 Milliarden Euro „wurden in ihren finanziellen Auswirkungen zum Teil deutlich überschritten“, heißt es in der Präsentation.
So erhalten Länder und Kommunen statt acht rund zehn Milliarden Euro Entlastung durch den Bund. Teurer als gedacht wurden auch die Teilabschaffung des Solidaritätszuschlags und das Baukindergeld. Daneben gibt die Koalition grundsätzlich mehr Geld für innere Sicherheit, Forschung und Bildung, Digitalisierung sowie für Verteidigung und Entwicklungshilfe aus. „Die expansive Haushaltspolitik der vergangenen Jahre hinterlässt Spuren im Haushalt“, heißt es warnend im Papier von Scholz‘ Beamten.
Zudem rechnet das Finanzministerium damit, dass ein großer Entlastungsposten, der in den vergangenen Jahren stets geholfen hat, so in Zukunft nicht mehr auftreten wird: geringere Zinskosten. Noch 2008 musste der Bund rund 40 Milliarden Euro für den Schuldendienst aufbringen. Im vergangenen Jahr waren es nur noch 12,1 Milliarden Euro. Nun könnte aber die Talsohle erreicht sein. Davon geht zumindest das Finanzministerium aus. Schon für das laufende Jahr rechnet es mit leicht steigenden Zinsausgaben, nämlich 12,6 Milliarden Euro.
Große Einsparungen bei den Zinsen
Mit der Trendumkehr würde eine Unterstützung ausfallen, die in den vergangenen Jahren enorm geholfen hat, trotz Zusatzausgaben einen schuldenfreien Etat zu erreichen. Allein im Vorjahr betrug die Zinsersparnis 15,1 Milliarden Euro. Hatte der Bund 2015 in seiner mittelfristigen Finanzplanung für 2019 noch Zinsausgaben in Höhe von 27,2 Milliarden Euro angesetzt, waren es am Ende nur 12,1 Milliarden Euro.
Über die Jahre sind so gewaltige Einsparungen zustande gekommen. Seit Ausbruch der Finanzkrise 2008 hat der Bund gegenüber seiner eigenen Haushaltsplanung sage und schreibe 195 Milliarden Euro an Zinsausgaben gespart. Dies zeigen neue Daten des Bundesfinanzministeriums, die dem Handelsblatt vorliegen.
So hatte der Bund zwischen 2008 und 2019 für den Schuldendienst Zinsausgaben von insgesamt 512 Milliarden Euro veranschlagt. „Die Summe der nach Abschluss der Haushaltsjahre ausgewiesenen Beträge aus den Jahren 2008 bis 2019 lag allerdings nur bei 316,6 Milliarden Euro“, schreibt Finanzstaatssekretärin Bettina Hagedorn (SPD) in einer Antwort der Bundesregierung auf eine Berichtsbitte der Grünen.
„Die Überschüsse der letzten Jahre sind auch ein Ergebnis der niedrigen Zinsen. Die Spielräume, die daraus entstanden sind, hat die Große Koalition bisher nicht sinnvoll genutzt“, sagt Grünen-Haushälter Sven-Christian Kindler. „Statt Innovationspotenziale über mehr Investitionen zu heben, wurde das Geld mit der Gießkanne verteilt.“
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