Gescheiterte Gesetzesvorhaben Streit zwischen Union und SPD – acht Projekte, die von der Großen Koalition nicht mehr umsetzbar sind

Projekte, die bisher noch nicht im Bundeskabinett beschlossen wurden, haben kaum noch eine Chance darauf realisiert zu werden.
Berlin Auf stolzen 162 Seiten hat das Bundeskanzleramt Anfang März in einem internen Papier alle Gesetzesvorhaben aufgelistet, welche die Große Koalition noch vor Ablauf der Legislaturperiode umsetzen will. Die große Mehrheit der Projekte in dieser „Vorhabendokumentation der Bundesregierung“ ist längst auf dem Weg.
Was hingegen bisher noch nicht im Kabinett beschlossen wurde, hat kaum mehr eine Realisierungschance. Es gibt aber auch Vorhaben, die schon im Bundestag liegen, bei denen Union und SPD aber weiterhin streiten. Sie dürften dem Ende der Legislaturperiode, der „Diskontinuität“, zum Opfer fallen.
Und so zeichnet sich mittlerweile ab, dass die schwarz-rote Koalition einige ihrer einst großspurig im Koalitionsvertrag angekündigten Lieblingsprojekte kaum mehr umsetzen wird. Einiges ist der Arbeitsbelastung in der Pandemie zum Opfer gefallen, bei anderem konnten sich die Koalitionspartner in den vergangenen Jahren schlicht nicht einigen. Gerade die Wirtschaftsverbände dürften bei einigen Gesetzesvorhaben durchaus erleichtert sein, wenn sie nicht mehr umgesetzt werden. Das Handelsblatt listet Vorhaben auf, die kaum noch eine Realisierungschance haben.
Abgeltungsteuer
Die Abschaffung der Abgeltungsteuer war aus Sicht der SPD eines der wichtigsten steuerpolitischen Vorhaben der Legislaturperiode. Der Plan: Kapitalerträge nicht mehr pauschal mit 25 Prozent, sondern wie früher wieder als normales Einkommen bis zu 42 Prozent zu besteuern. „Gerechter wäre es, solche Erträge mit dem Einkommensteuerrecht zu erfassen“, sagte etwa Bundesfinanzminister Olaf Scholz (SPD) Anfang 2019. „Deshalb haben wir vereinbart, dass wir die Abgeltungsteuer in dieser Legislaturperiode abschaffen wollen.“
Doch zwei Jahre später ist die Niedrig-Steuer auf Kapitalerträge noch immer da und eine Abschaffung nicht in Sicht. In der Vorhabenplanung der Bundesregierung findet sich das Projekt nicht. Auch im Bundesfinanzministerium heißt es, es sei unwahrscheinlich, dass eine Abschaffung in dieser Wahlperiode noch komme. Dies müsste sofort auf den Weg gebracht werden, damit es zeitlich vor den Wahlen noch klappe. Es herrsche allerdings der Eindruck vor, die Gemeinsamkeiten zwischen Union und SPD in der Finanzpolitik seien aufgebraucht.
Altersvorsorgepflicht für Selbstständige
Von den im Koalitionsvertrag vereinbarten Rentenreformen steht noch ein großes Projekt aus: die Altersvorsorgepflicht für alle Selbstständigen, die nicht bereits anderweitig obligatorisch abgesichert sind, zum Beispiel in den berufsständischen Versorgungswerken für Ärzte oder Anwälte. „Der ursprüngliche Zeitplan zur Umsetzung hat sich aufgrund der Corona-Pandemie nach hinten verschoben“, teilte das Bundesarbeitsministerium auf Nachfrage mit. Dabei zeige gerade die Pandemie, wie wichtig eine gute Absicherung für Selbstständige sei. Arbeitsminister Hubertus Heil (SPD) wolle daher „dieses wichtige Projekt noch in dieser Legislaturperiode umsetzen“.
Schon bei den anderen Vorhaben im Bereich der Alterssicherung, wie etwa der Grundrente, waren sich Union und SPD zwar im Grundsatz und über das Ziel einig, doch die konkrete Ausgestaltung führte dann zu heftigem Streit. Umstritten ist, für wen die Vorsorgepflicht gilt und welche Alterssicherungsformen als Alternative zu einer Versicherung in der gesetzlichen Rente gelten sollen.

Eine gute Absicherung für Selbstständige sei wichtig, sagt das Bundesarbeitsministerium.
Offenbar plant Heils Ministerium eine Regelung, die die bisher Selbstständigen weitgehend ausnimmt. Stattdessen ist die Rede davon, dass die Pflicht für künftige Freiberufler gilt, die bei Inkrafttreten des geplanten Gesetzes unter einer bestimmten Altersgrenze liegen. Doch dass diese Reform noch vor der Wahl verabschiedet wird, gilt derzeit als wenig wahrscheinlich.
Regulierung befristeter Jobs
Er sei zu einer kleinen Wette bereit, sagte der Grünen-Politiker Markus Kurth, dass das Gesetz zur Regulierung sachgrundlos befristeter Jobs in diesem Jahr nicht mehr kommen werde. Das war bei einer Podiumsdiskussion im Juni 2019. Inzwischen dürfte klar sein: Das Gesetz kommt auch in dieser Wahlperiode nicht mehr.
Das ist besonders ärgerlich für die SPD, die in ihrem Bundestagswahlprogramm versprochen hatte, „insbesondere jungen Menschen Perspektiven und mehr Planbarkeit für ihr berufliches und privates Leben zu ermöglichen“. Deshalb sollte die Befristung von Jobs ohne einen der explizit im Teilzeit- und Befristungsgesetz genannten Gründe zur absoluten Ausnahme werden.
Weil das Thema schon in den Koalitionsverhandlungen zu den Knackpunkten gehörte, bestanden die Sozialdemokraten darauf, die geplante Regelung detailliert im Koalitionsvertrag festzuschreiben. Bei der Klausur der SPD-Fraktion im Januar hob Fraktionschef Rolf Mützenich hervor, dass die sachgrundlose Befristung zu den Vorhaben gehöre, die der Partei noch bis zum Ende der Wahlperiode umsetzen wolle. Aber Mützenich fügte auch hinzu: „Wenn die Union dazu bereit ist.“ Und danach sieht es nicht aus.
Arbeitszeitgesetz
Die Corona-Pandemie zeigt die Schwierigkeiten eines Arbeitszeitgesetzes, das noch aus der Zeit von Lochkarte und Wählscheibentelefon stammt. Wer im Homeoffice nachmittags die Arbeit unterbricht, um sich um die Kinder zu kümmern, abends nacharbeitet und morgens wieder am Schreibtisch sitzt, verstößt gegen die vorgeschriebene elfstündige Ruhezeit. Die Union wollte das Arbeitszeitgesetz ans digitale Zeitalter anpassen und einigte sich mit der SPD darauf, zumindest tarifgebundenen Unternehmen mehr Freiräume zu ermöglichen.
„Arbeitszeitgesetz modernisieren, Verwaltung digitalisieren, Bürokratie abschaffen“, hatte Unionsfraktionsvize Carsten Linnemann noch im Mai 2020 gefordert, als die Koalition über ein Corona-Konjunkturpaket debattierte. Doch bei dem Thema steht die SPD auf der Bremse, und Arbeitsminister Heil hat bisher wenig Ehrgeiz gezeigt, einen Entwurf vorzulegen.
Denn wenn das Arbeitszeitgesetz schon angefasst wird, will er auch das Urteil des Europäischen Gerichtshofs (EuGH) vom Mai 2019 umsetzen, das Arbeitgeber verpflichtet, ein System zur Arbeitszeiterfassung einzurichten. Dagegen laufen allerdings die Wirtschaft und der Wirtschaftsflügel der Union Sturm. Der wahrscheinliche Ausgang: Union und SPD blockieren sich gegenseitig bei den Vorhaben.
Unternehmenssanktionen
Vom „Gesetz zur Stärkung der Integrität in der Wirtschaft“ war schon länger nichts mehr zu hören. Zwar besiegelte das Kabinett bereits im Juni 2020 das Vorhaben, drastische Bußgelder für Unternehmen einzuführen, aus denen heraus Straftaten wie Betrug, Korruption oder Umweltdelikte begangen werden. Argumente dafür lieferten die Dieselaffäre und der Cum-Ex-Skandal. Nach massiver Kritik aus den Ländern und der Wirtschaft ist es nun aber still um die Unternehmenssanktionen geworden.
Angesichts der Komplexität des Themas und der Belastungen, die deutsche Unternehmen aufgrund der Coronakrise schultern müssten, sei davon auszugehen, dass dieses Gesetz der Diskontinuität anheimfalle, war im Bundestag zu hören. Selbst im Bundesjustizministerium von Christine Lambrecht (SPD) sind skeptische Stimmen zu hören: „Die Zeit läuft.“ Die SPD macht noch Druck in der Sache, in der Unionsfraktion winkt man aber bereits ab.
Die Wirtschaft wäre wohl nicht unglücklich, wenn die geplanten Vorschriften, die zunächst unter dem drastischeren Namen „Gesetz zur Bekämpfung der Unternehmenskriminalität“ gestartet waren, gar nicht beschlossen werden. So hält der Bundesverband der Deutschen Industrie (BDI) die Regelungen für nur schwer umsetzbar und teilweise verfassungswidrig. „Zudem kommt der Gesetzentwurf zum falschen Zeitpunkt, weil er zu unangemessenen Belastungen auch der rechtstreuen Unternehmen führt“, sagte Iris Plöger, Mitglied der BDI-Hauptgeschäftsführung, dem Handelsblatt. Der Gesetzgeber würde damit erhebliche Rechtsunsicherheit in einer ohnehin sehr belastenden Pandemiezeit schaffen.
Baulandmobilisierungsgesetz
Kanzlerin Angela Merkel (CDU) übt sich in Zweckoptimismus. „Wir gehen doch davon aus und wollen das auch als Bundesregierung, dass dieses Gesetz verabschiedet wird, das ist wichtig“, sagte die Kanzlerin kürzlich auf dem Wohnungsbaugipfel mit Blick auf das Baulandmobilisierungsgesetz. „Ansonsten würde etwas ganz Wesentliches fehlen in unserer Wohnraumoffensive.“
Doch auch wenn Merkel die Bedeutung des Vorhabens betont: Die Umsetzung ist fraglich. Das Gesetz, das sich im parlamentarischen Verfahren befindet, soll Kommunen die Mobilisierung von Flächen für den Wohnungsbau erleichtern. Außerdem sollen die Möglichkeiten, Mietwohnungen in Eigentumswohnungen umzuwandeln, reduziert werden.

Die Umsetzung des Baulandmobilisierungsgesetzes ist fraglich.
Sowohl die SPD- als auch die Unionsfraktionen wollen das Gesetz – aber die Gespräche in der Koalition sind schwierig. Langsam läuft der Koalition die Zeit davon: „Beide Seiten wissen, dass wir mehr bezahlbaren Wohnraum brauchen“, sagte Sören Bartol, Vizechef der SPD-Bundestagsfraktion, dem Handelsblatt. Dazu werde das Gesetz benötigt. Er sei zuversichtlich, „dass wir das Baulandmobilisierungsgesetz zeitnah beschließen“. Optimismus demonstrieren also Union wie SPD – doch viel mehr Gemeinsamkeiten gibt es bei dem Vorhaben derzeit nicht.
Neue Bahn-Satzung
Union und SPD hatten Großes vor mit der Deutschen Bahn AG. „Für uns steht als Eigentümer der Deutschen Bahn AG nicht die Maximierung des Gewinns, sondern eine sinnvolle Maximierung des Verkehrs auf der Schiene im Vordergrund“, heißt es im Koalitionsvertrag. Wie aber eine Aktiengesellschaft verpflichten, die einen wirtschaftlichen Zweck verfolgt und das Vermögen der Anteilseigner mehren will und nicht das des Volkes?
Die Koalition wollte in den Satzungen des Gesamtkonzerns aber auch der Infrastrukturgesellschaften für Netz und Bahnhöfe „volkswirtschaftliche Ziele wie die Steigerung des Marktanteils der Schiene festschreiben und die Vorstände der Unternehmen auf die Erfüllung der Ziele verpflichten“.
Doch daraus wird nichts mehr. Ende des vergangenen Jahres beerdigten die Koalitionäre einvernehmlich das Vorhaben. „Der Teufel steckt im Detail“, sagte Unionsfraktionsvize Ulrich Lange. „Solange die DB als Aktiengesellschaft zur Gewinnerzielung verpflichtet ist, würde vor allem eine Gemeinwohlverpflichtung der Transportunternehmen Auswirkungen auf den Wettbewerb haben.“ Würde indes nur die DB Netz und DB Station und Services dem Gemeinwohl verpflichtet, dann käme umgehend wieder die Debatte auf, ob Betrieb und Netz der Bahn nicht getrennt werden müssen. Das will aber die SPD unbedingt verhindern.
Nationale Bildungsplattform
Die Kanzlerin selbst hat vergangene Woche ein überfälliges Projekt als neu verkauft: die nationale Bildungsplattform. Diese soll Schülern, Lehrern, Arbeitnehmern und allen sonstigen Lernwilligen den Zugang zu digitalen Programmen erleichtern, versprach sie beim Startschuss einer neuen „Initiative Digitale Bildung“.
Versprochen ist das Projekt allerdings schon im Koalitionsvertrag von 2017. Die CDU-Fraktion entwickelte auch einen Megaplan: „Milla“ – Modulares interaktives lebensbegleitendes Lernen für alle – sollte aussehen wie Netflix und digital den Fachkräftemangel besiegen. Bildungsprämien im Wert von drei Milliarden Euro jährlich für die Kursteilnehmer sollten die digitale „Wende in der Weiterbildung“ bringen, warb Annegret Kramp-Karrenbauer, damals CDU-Generalsekretärin.
Daraus wurde nichts, weil es der Finanzminister nicht finanzierte, hieß es in der CDU; andere sagen, das Bildungsministerium habe nicht mitgezogen. Auch jetzt sagte Bildungsministerin Anja Karliczek (CDU), es sei „ein komplexes Projekt, dessen Umsetzung eine gewisse Zeit benötigen wird“. Im Klartext: keinesfalls mehr vor der Wahl.
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Bei der Abgeltungssteuer auf Dividenden ist der Steuersatz steuersystematisch begrenzt, weil die ausgeschütteten Unternehmensgewinne bereits beim Unternehmen der Körperschaftsteuer und Gewerbesteuer unterlegen sind. Bei den anderen Zinserträgen ist das Steuermehraufkommen durch Rückkehr zur Tarifbesteuerung aufgrund der Niedrigzinssituation derzeit eher bescheiden, zumal dann auch wieder Werbungskostenabzug möglich ist (z.B. Negativzins).
Eine weitere Dimension bietet das Thema in Bezug auf die private Altersversorgung. Nachdem die von der BRD mitgetragene Niedrig- bzw Negativzinspolitik, die Altersversorgung durch private Rentenversicherungen obsolet gemacht hat, würde es die Alterversorgungsmodelle derjenigens angreifen, die - auch mit Empfehlung der Politik - auf Aktien umgestellt haben.