Interview Politikwissenschaftler Probst: „Ohne Jamaika ist Laschets politisches Schicksal besiegelt“

Laschet sucht das Gespräch mit FDP und Grünen, um Möglichkeiten für ein Jamaika-Bündnis auszuloten.
Berlin Der Bremer Politikwissenschaftler Lothar Probst sieht wenig Chancen für eine Jamaika-Koalition unter der Führung von CDU-Chef Armin Laschet. „Ich gehe davon aus, dass die Sondierungsgespräche mit der Union nicht allzu lange laufen werden und Grüne sowie FDP relativ schnell in Koalitionsgespräche mit der SPD gehen“, sagte der Fachmann für Parteien- und Wahlforschung dem Handelsblatt.
Die Grünen hätten als zweitstärkster Partner in einem Dreierbündnis bereits deutlich gemacht, dass sie „die Ampel eindeutig favorisieren, und die SPD drückt außerdem aufs Tempo“.
Probst räumte zwar ein, dass es lange Zeit keinen Favoriten in den Umfragen unter den möglichen Koalitionen gegeben habe. „Aber Wählerwahrnehmungen ändern sich unter dem Einfluss von Wahlergebnissen und den sich daraus ergebenden Möglichkeiten“, erläuterte er. Außerdem liege SPD-Frontmann Olaf Scholz in der Gunst der Wähler sowohl in Bezug auf Vertrauen, Sympathie und Kompetenz deutlich vor der Union.
„In einem Ampelbündnis wären mit starken Grünen und ebenfalls starken Liberalen außerdem zwei Parteien vertreten, die einerseits in Sachen Klimakompetenz und andererseits Wirtschaftskompetenz die soziale Kompetenz der SPD sinnvoll flankieren“. Er gehe daher davon aus, „dass im Spätherbst eine Ampelkoalition mit Olaf Scholz an der Spitze steht“.
Auf CDU-Chef Laschet sieht Probst hingegen schwere Zeiten zukommen. „Wenn es ihm nicht gelingt, sich als Kanzler in eine Jamaika-Koalition zu retten, ist sein politisches Schicksal besiegelt“, sagte er. „Als Lame Duck wird man ihn kaum zum Fraktionsvorsitzenden machen.“ Auch an der Spitze der CDU werde man über eine Erneuerung nachdenken.
Lesen Sie hier das komplette Interview:
Herr Probst, die Union erleidet bei der Bundestagswahl eine historische Niederlage und Armin Laschet glaubt trotzdem, dass er eine Regierung bilden kann. Wie kommt er darauf?
Es ist der letzte Hoffnungsschimmer der CDU, doch noch Kanzlerpartei zu bleiben. Vor allem aber hängt die politische Karriere von Armin Laschet davon ab, ob es ihm gelingt, wider Erwarten ein Jamaika-Bündnis zu schmieden. Allerdings ist sein Scheitern angesichts seiner schwachen Ausgangsposition vorprogrammiert.
Laschet rettet sich nun vorerst in Gespräche mit FDP und Grünen. Auch die SPD führt mit den kleinen Parteien am Wochenende Gespräche. Was sind die größten Knackpunkte für ein Jamaika-Bündnis oder eine Ampelkoalition?
SPD und Grüne kennen sich aus vielen Koalitionen im Bund und in den Ländern und verfügen über einen großen Vorrat an programmatischen Gemeinsamkeiten. Das betrifft wesentliche Punkte der Klimapolitik, aber auch der sozialen Sicherheit in der Gesellschaft.
Und das könnte mit den Liberalen zusammenpassen?
Die FDP passt nur bedingt in dieses Schema und wird sicherlich ein sperriger Partner sein. Gleichwohl kann es sich die FDP nicht leisten, erneut eine Regierungsbeteiligung abzulehnen.
Wo sehen Sie Schnittmengen mit den beiden anderen Ampel-Partnern?
Mit den Grünen und der SPD gibt es Gemeinsamkeiten in der außenpolitischen Orientierung der Bundesrepublik, bei der notwendigen Digitalisierung, beim Ausbau öffentlicher Infrastruktur und auch bei den Bürgerrechten. Widersprüche gibt es vor allem in Bezug auf die Steuer- und Finanzpolitik – Steuern rauf oder runter, bei der Schuldenbremse – und hinsichtlich der Breite und Tiefe staatlicher Regulierung.
Wie ist es zwischen CDU und FDP?
Beide Parteien kennen sich ebenfalls aus vielen Koalitionen auf Bundes- und Landesebene. Armin Laschet regiert mit der FDP das größte Bundesland und in Wirtschafts-, Finanz- und Steuerfragen ticken beide Parteien ähnlich. Im Jamaika-Bündnis wären also die gestärkten Grünen das Problem, die sicherlich mit ihren klimapolitischen Vorstellungen bei der FDP anecken würden. Auch in der Wirtschafts- und Finanzpolitik sowie Verkehrspolitik sind die Hürden zwischen den Parteien relativ hoch.
Sowohl eine Ampel- und eine Jamaika-Koalition bergen also Konfliktpotenzial. Ist es vor diesem Hintergrund realistisch, dass die Sondierungsgespräche schnell abgeschlossen werden können?
Die Parteien haben nach den gescheiterten Jamaika-Sondierungsgesprächen nach der vergangenen Wahl dazugelernt. Es gibt jetzt Vorgespräche, Sondierungen und dann Koalitionsgespräche. Es zeichnet sich allerdings jetzt schon ab, dass es auf eine Ampelkoalition hinausläuft.
Was macht Sie da so sicher?
Ich gehe davon aus, dass die Sondierungsgespräche mit der Union nicht allzu lange laufen werden und Grüne sowie FDP relativ schnell in Koalitionsgespräche mit der SPD gehen. Die Grünen haben darüber hinaus als zweitstärkster Partner in einem Dreierbündnis deutlich gemacht, dass sie die Ampel eindeutig favorisieren, und die SPD drückt außerdem aufs Tempo.
Laut einer aktuellen Umfrage von Infratest dimap trauen sogar deutlich mehr Menschen einer Koalition aus SPD, Grünen und FDP einen politischen Neuanfang zu als einem Bündnis aus Union, Grünen und FDP. Wie kommt das?
Lange Zeit gab es keinen Favoriten in den Umfragen unter den möglichen Koalitionen. Aber Wählerwahrnehmungen ändern sich unter dem Einfluss von Wahlergebnissen und den sich daraus ergebenden Möglichkeiten. Außerdem liegt Olaf Scholz in der Gunst der Wähler sowohl in Bezug auf Vertrauen, Sympathie und Kompetenz deutlich vor der Union. In einem Ampelbündnis wären mit starken Grünen und ebenfalls starken Liberalen außerdem zwei Parteien vertreten, die einerseits in Sachen Klimakompetenz und andererseits Wirtschaftskompetenz die soziale Kompetenz der SPD sinnvoll flankieren.
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Steht die Union auch wegen der langen Kanzlerschaft Angela Merkels nicht unbedingt für einen Neuanfang?
Die Union hat die Nachfolge von Angela Merkel nicht gut gemanagt. Daran trifft die Noch-Kanzlerin eine Mitschuld. Sie hat zu lange gezögert, ihre Nachfolge zu ordnen. Merkel war über viele Jahre Garantin für die Wahlerfolge der Union auf Bundesebene. Aber darunter hat sich seit Langem ein schleichender Erosionsprozess abgebildet, der besonders bei Landtagswahlen, aber auch zum Teil bei mageren Ergebnissen bei Bundestagswahlen 2009 und 2017 zum Tragen kam.
Dass die SPD eine Regierungsoption haben würde, hatte sich so zunächst nicht abgezeichnet. Wie ist das Comeback zu erklären?
Die SPD hat trotz zunächst schlechter Umfragewerte Ruhe und Geschlossenheit nach der Nominierung von Olaf Scholz gewahrt und in der Schlussphase mit einem Plakatwahlkampf, der ganz auf ihn zugeschnitten war, einen Kanzlerwahlkampf geführt. Die Schwäche der Mitbewerber Laschet und Baerbock hat geholfen, dass diese Strategie erfolgreich war. Denn nur Scholz hatte unter den dreien bei vielen Wählern Kanzlerformat.
Hat die SPD auch mit Themen überzeugt?
Die SPD hat die Person Olaf Scholz geschickt mit den Themen verknüpft, die in den letzten Jahren angesichts Klimakatastrophe und Corona etwas untergegangen sind, im Alltag vieler Menschen aber eine Rolle spielen: Mieten, Rente, Mindestlohn. Außerdem hat man geschickt kulturell spaltende Themen wie die Genderpolitik, aus dem Wahlkampf herausgehalten. Das hat vor allem Punkte auch im Osten gebracht.
Die Union hat unter anderem mit der Warnung vor einem Linksrutsch Wahlkampf gegen die SPD gemacht. Das hat nicht verfangen.
Olaf Scholz steht nicht gerade für einen Linksschwenk der SPD, und er hat immer deutlich gemacht, dass er von den außenpolitischen Vorstellungen der Linken, aber auch deren gesellschaftspolitischen Ideen nichts hält. Die Warnung der Union lief deshalb ins Leere und war ein verzweifelter, aber nutzloser Versuch, in der Endphase des Wahlkampfes noch Boden gutzumachen.
Die Linke in der SPD ist jetzt aber mit vier Dutzend Jusos in der neuen Bundestagsfraktion ziemlich stark vertreten. Kann das ein Problem für Olaf Scholz werden?
So wenig wie der linke Ex-Juso Kevin Kühnert für Scholz ein Problem war, werden die fast 50 Jusos ein Problem für ihn sein. Die SPD verdankt hauptsächlich ihm den Wahlerfolg, und dem werden sich andere, auch die Jusos mit radikaleren Vorstellungen, unterordnen müssen.
Olaf Scholz wird ja vor allem der FDP Zugeständnisse machen müssen. Auf der anderen Seite gibt es Parteichefin Saskia Esken und den Parteivize Kevin Kühnert. Wie schätzen Sie die Rolle führender SPD-Linker ein?
Sowohl Esken als auch Kühnert haben Olaf Scholz in die Position des Kanzlerkandidaten gebracht. Sie wissen um die historische Chance, dass die SPD nach vielen Jahren Abstinenz mal wieder Kanzlerpartei werden kann und dafür Kompromisse mit der FDP eingehen muss. Insofern werden sie ihm die Entscheidung in der Koalitionsfrage überlassen und dafür sorgen, dass auf der ministeriellen Ebene der eine oder die andere linke Sozialdemokratin berücksichtigt wird. Außerdem werden sie versuchen, ein paar ihrer Lieblingsprojekte im Koalitionsvertrag unterzubringen.
Kühnert hat das Finanzkonzept der FDP schon als Voodoo-Programm kritisiert. Muss das nicht für viele Liberale abschreckend wirken?
Die Liberalen und Christian Lindner wollen regieren. Dazu müssen sie von ihren Maximalforderungen in der Steuer- und Finanzpolitik Abstriche machen, können andererseits aber auch Preise von SPD und Grünen verlangen. Es wird deshalb kaum große Steuererhöhungen geben. Außerdem will Lindner das Wirtschaftsministerium besetzen und darüber FDP-Klientelpolitik betreiben.

Der SPD-Frontmann will mit einer Ampelkoalition regieren.
Über eine Neuauflage der Großen Koalition redet derzeit niemand. Müssen das Scholz beziehungsweise Laschet nicht als eine Art Rückfalloption im Blick haben, wenn sonst nichts geht?
Weder SPD noch CDU können sich nach Wahlergebnissen deutlich unter 30 Prozent eine weitere Große Koalition erlauben. Das wäre der endgültige Sargnagel der Volksparteien, die sowieso schon Schrumpfparteien sind und den Atem anderer, bisher kleinerer Parteien im Nacken spüren. Die Dreierverhandlungen sind also – in welcher Koalition auch immer – zum Erfolg verdammt.
Wann werden wir eine Regierung haben?
Ich gehe davon aus, dass im Spätherbst eine Ampelkoalition mit Olaf Scholz an der Spitze steht.
Und was wird aus Armin Laschet?
Wenn es ihm nicht gelingt, sich als Kanzler in eine Jamaika-Koalition zu retten, ist sein politisches Schicksal besiegelt. Als Lame Duck wird man ihn kaum zum Fraktionsvorsitzenden machen. Vielleicht zieht er sich dann noch bis zur Wahl im nächsten Jahr in NRW auf seine Rolle als Ministerpräsident zurück. Aber auch das steht in den Sternen, weil keine Partei gerne mit einem Wahlverlierer in den nächsten Wahlkampf gehen will. Auch an der Spitze der CDU wird man über eine Erneuerung nachdenken – das wäre dann der oder die dritte Vorsitzende innerhalb von zwei Jahren.
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