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Kunst nach 1945Lucio Fontanas Sprung aus dem Bild

Am 5. Oktober beginnt in Wuppertal eine große Ausstellung zu Lucio Fontanas Werk nach 1945. Vor der Eröffnung werden Vorwürfe laut, die faschistischen Wurzeln vernachlässigt zu haben.Christiane Fricke 26.09.2024 - 08:31 Uhr Artikel anhören

Mailand, Düsseldorf. Franz Erhard Walther war 1959 zwanzig Jahre alt, als er auf der „Documenta“ vor den Schlitzbildern von Lucio Fontana stand. „Ich war völlig perplex“, erinnerte sich der Künstler in einem Interview 2015. Zumal, als er entdeckte, dass der italienische Bildhauer 1959 schon 60 Jahre alt war. „Ich habe das ernst genommen, weil das ein gestandener Mann gemacht hatte. Nicht ein Jungkünstler, der mal etwas ausprobiert.“ Das habe in ihm die Vorstellung befeuert, „dass der klassische Bildraum nicht mehr existiert“.

Der Düsseldorfer Galerist Alfred Schmela hatte in Kassel über die mit dem Messer aufgeschlitzten Leinwände noch gewitzelt. Er richtete dem Künstler jedoch bereits 1960 eine erste Ausstellung in seiner Galerie aus und ließ Otto Piene die Eröffnungsrede halten; nicht die erste, die ein Zero-Künstler zu Ehren des verehrten italienischen Kollegen hielt.

Dicht geknüpft ist das Netzwerk der internationalen, insbesondere der deutsch-italienischen Avantgarde im Rheinland der 1960er-Jahre. Zu Recht wird es von Roland Mönig als „frühes Epizentrum der Fontana-Rezeption“ bezeichnet. Das und der Reichtum an Werken in rheinischen Sammlungen ist einer der Beweggründe, warum das von ihm geleitete Von-der-Heydt-Museum sich in Kooperation mit der Fondazione Lucio Fontana an die große Werkübersicht wagte, die am 5. Oktober eröffnet wird (bis 12.1.2026)

Hinzu kommt, dass Fontanas vielgestaltiges Œuvre seit der Retrospektive 1996 in der Frankfurter Kunsthalle Schirn von keinem deutschen Museum mehr genauer unter die Lupe genommen wurde. Dabei setzte der Künstler auch später noch Impulse bei nachfolgenden Künstlergenerationen – bis hin zu Mischa Kuball und Erinna König. Darauf macht die Kuratorin Beate Eickhoff aufmerksam – leider nicht in der Ausstellung, nur im Katalog.

Nicht auf dem Zettel hatte Roland Mönig die Verwurzelung des Frühwerks im Faschismus. Sicher wäre das ein spannendes Thema gewesen angesichts der politischen Gemengelage im heutigen Deutschland. Jetzt sollen die Verflechtungen zwischen Fontana und dem Faschismus jedoch im Multimedia-Guide zur Ausstellung behandelt werden.

Am 12. September war in der „Zeit“ ein Artikel von Jan Hendrik Geschke erschienen, in dem er den „teppichmesserschwenkenden Maestro“ als „Lichtgestalt der Nachkriegsmoderne“ regelrecht demontiert. Seine Ausstellung hat Mönig jedoch aus der Perspektive auf das Nachkriegs-Œuvre Fontanas entwickelt. Er unterschlägt die faschistischen Wurzeln dabei nicht, jedenfalls nicht im Katalog. Dort lässt sich – illustriert von Bildmaterial, das die Mailänder Fontana-Stiftung zur Verfügung stellte – unter anderem nachlesen, dass Fontana während der Zeit des Faschismus wie andere italienische Avantgarde-Künstler großzügig gefördert wurde.

Anders als im Hitler-Deutschland, wo Künstlerinnen und Künstler der Moderne bekämpft, verfolgt und vernichtet wurden, fand sich die italienische Avantgarde von ihrem Diktator umarmt. Ein Thema, das erst 2018 von der Fondazione Prada in Mailand umfassend beleuchtet und deshalb in Wuppertal ausgeklammert wurde.

Und so wissen Geschke und Mönig unterschiedliche Geschichten zum Begriff der Erwartung zu erzählen, mit dem das Von-der-Heydt-Museum seine Ausstellung betitelte. Geschke verweist auf eine gleichnamige Jünglingsskulptur, mit der Fontana Anfang der Dreißigerjahre die Jugendorganisation der faschistischen Partei Italiens feiert. Für Mönig verkörpert der vieldeutige Begriff Attesa „mustergültig seine Faszination für Raum und Material, seinen Anspruch, ins Neue und Offene aufzubrechen“. Mit „Attesa“ hatte der Künstler seine populärste Werkgruppe der „Concetti spaziali“ untertitelt.

Nach wie vor erstaunlich ist, wie nahtlos sich Fontana als über Sechzigjähriger in die vielfältigen Strategien einfügt, mit denen Künstlerinnen und Künstler seit den späten 1950er- und 1960er-Jahren den Ausstieg aus dem Bild erproben. Die Manifeste der italienischen Futuristen sind das Fundament, gefolgt 1946 von dem von Fontana mitverfassten „Manifesto Blanco“, das eine von Grund auf erneuerte Kunst fordert.

Am Ende offenbart sich ein überraschend vielgestaltiges Œuvre. Hartnäckig um die Beziehung zum Raum kreisend, reicht es von der figürlichen Keramik bis zur durchlöcherten oder aufgeschlitzten Leinwand, über Relief, Bauplastik und Skulptur bis zum Environment.

Eine in Terrakotta ausgeführte Kreuzwegstation von Lucio Fontana, die sich heute in der Sammlung der Jesuitenkirche San Fedele in Mailand befindet. Foto: Christiane Fricke; VG Bild-Kunst, Bonn 2024

Der Eindruck, den die Ausstellung zur Komplexität des Werks vermitteln soll, wird gewiss ein anderer sein. Aber wer jemals den Spuren folgte, die der in Argentinien geborene Fontana allein in Mailand, seinem Hauptdomizil, hinterließ, weiß, wovon die Rede ist. Hier zeigt sich auch die selbstverständliche Verflechtung mit der Kirche. Eine Fülle von Auftragsarbeiten macht klar, wie kongenial Fontana auf den Barock mit seiner originellen, in den Raum ausgreifenden figürlichen Ausstattung reagierte.

Wer Fontana auf dem Auktionsmarkt verfolgt, dem erschließt sich dieser Reichtum kaum oder nur mit Mühe. Es dominieren die banalen monochromen „Concetti spaziale“, insbesondere aus der Attesa-Reihe zu sechs- bis niedrigen siebenstelligen Preisen je nach Format und Güte. Nur das Ausgefallene erzielt höhere Notierungen. Etwa das bei Christie’s Paris im Herbst 2023 versteigerte „Concetto spaziale“ aus der Venezie-Gruppe auf Gold- und Weißgrund, das auf 7,9 Millionen Euro kam.

In den obersten Preisbereich fallen Raritäten von höchster Qualität. Dazu zählt zum Beispiel das gelbe eiförmige Exemplar aus der „Fine de Dio“-Serie, das bei Sotheby’s in diesem Mai für 23 Millionen Dollar verkauft wurde. Das bislang höchste Ergebnis für ein durchstoßenes Bild der „Fine de Dio“-Serie lag bei 29,2 Millionen Dollar, erzielt von Sotheby’s im Jahr 2015.

Da Fontana 1968 starb, ist von Werken dieses Kalibers laut Einschätzung des Galeristen Karsten Greve nicht mehr viel zu erwarten. Anders sieht es mit den Schlitzbildern aus den letzten drei bis vier Jahren vor seinem Tod aus. Damals ließ sich Fontana von einem japanischen Assistenten unterstützen.

Greve arbeitet seit 50 Jahren mit dem kompletten Œuvre. Er erinnert sich an ein Preisspektrum zwischen 10.000 und 20.000 D-Markt in den frühen Siebzigern. Heute bringt er das Besondere zu entsprechend hohen Preisen mit auf die internationalen Messen. In seinen Galerien jedoch hat er in den letzten Jahren die keramischen Arbeiten ausgestellt. Auch sie erfahren internationale Wertschätzung zu Preisen in sechsstelliger Höhe ab 200.000 Euro aufwärts.

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Im Wuppertaler Katalog ist Greve – anders als die Galerie Dierking – nur mit einer Leihgabe, einer keramischen Kreuzigung, vertreten. Denn die nächste Ausstellung, für die Leihgaben erwartet werden – im Guggenheim in Venedig –, steht schon vor der Tür.

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