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Asia TechonomicsSoftware scheppert nicht – Was im chinesischen Automarkt wirklich zählt

Wer in Chinas Metropolen tagtäglich stundenlang im Stau steht, braucht in seinem Auto vor allem drei Dinge: Bequeme Sitze, Beinfreiheit und gute Unterhaltung.Sabine Gusbeth 27.04.2023 - 11:41 Uhr Artikel anhören

In der wöchentlichen Kolumne schreiben Handelsblatt-Korrespondenten im Wechsel über Innovations- und Wirtschaftstrends in Asien.

Foto: Klawe Rzeczy

Shanghai. So manchem deutschen Automanager dürfte in Shanghai bei der Fahrt zwischen Automesse und Hotel in der Innenstadt bewusst geworden sein: Auf dem größten Automarkt der Welt zählen nicht PS-starke Motoren, sondern ein bequemer Sitz, Beinfreiheit und ein gutes Unterhaltungsprogramm.

Denn für die knapp 25 Kilometer musste man in den vergangenen Tagen manchmal bis zu zwei Stunden einplanen. Viele Handelsblatt-Artikel über die Automesse, die an diesem Donnerstag endet, sind auf der Rückbank eines Taxis mit dem Computer auf dem Schoß entstanden.

Jörg Wuttke, Chef der EU-Handelskammer in China, drückt es mit langjähriger Erfahrung vor Ort so aus: In China will man nicht von A nach B fahren, sondern von A nach B unterhalten werden.

Als der damalige Volkswagen-Chef Herbert Diess 2022 betonte, man brauche eine Karaoke-Funktion im Auto, um in China zu reüssieren, wurde er von vielen belächelt. Doch die in der Volksrepublik überaus beliebten Mitsing-Apps werden von Neuwagenkäufern ebenso erwartet wie Spielekonsolen auf dem Rücksitz für die mitreisenden Kinder.

Längst geht es nicht mehr darum, ob beim Verstellen des Lenkrads etwas „scheppert“ oder nicht, wie Martin Winterkorn, einer von Diess’ Vorgängern, beim Vergleich mit der asiatischen Konkurrenz einst monierte. Es geht vielmehr darum, ob die Mitfahrenden ihre auf dem Smartphone verwendeten Apps nahtlos auch im Auto nutzen können. Das E-Auto-Start-up Nio, das ins Premiumsegment drängt, will gar ein eigenes Smartphone passend zum Boliden entwickeln, um das digitale Nutzererlebnis im Fahrzeug zu optimieren.

>> Lesen Sie auch: In China verkauft BYD jetzt mehr Autos als Volkswagen

Wie sich die chinesischen Start-ups ein umfassendes Komfort- und Unterhaltungsprogramm vorstellen, wird bei einer Probefahrt des Handelsblatts mit dem Flaggschiff-SUV G9 des chinesischen Herstellers Xpeng deutlich: Per Sprachbefehl können die Mitfahrenden nicht nur das Unterhaltungssystem starten, sondern auch für jeden Platz im Fahrzeug individuell eine Massagefunktion im Sitz oder eine kühlende Belüftung der Sitzfläche zuschalten. Besonders stolz ist der Hersteller auf das Soundsystem mit 28 Lautsprechern.

Am Bildschirm auf dem Beifahrersitz kann der Nutzer zwischen vielen Film-, Musik- und Entertainment-Apps wählen. Wer die Sonnenblende herunterklappt und den Spiegel öffnet, bekommt auf dem Screen Videos mit Schminktipps eingeblendet.

Ebenfalls beliebt bei der weiblichen Kundschaft sei die automatische Einparkfunktion, heißt es. Das Fahrzeug findet selbstständig einen freien Platz im Parkhaus und rangiert rückwärts ein. Rund die Hälfte aller Xpeng-Käufer sei weiblich.

In den Messehallen wird vor allem Chinesisch und Deutsch gesprochen

Was Luxus auf dem chinesischen Automarkt heutzutage bedeutet, zeigt der Hersteller Human Horizons mit dem Modell Hiphi X an seinem Messestand: Der Beifahrer kann auf einem 19,9-Zoll-Bildschirm das Unterhaltungsprogramm wählen.

Die Rückbank gleicht einer Lounge, die Sitze lassen sich in eine bequeme Liegeposition bringen. Beim Aussteigen öffnet sich nicht nur die Tür, sondern auch die zugehörige Dachhälfte, sodass man das Fahrzeug aufrecht verlassen kann.

Viele westliche Besucher drängten sich am Stand von Human Horizons, saßen Probe, machten Fotos, nahmen Maß. Der Chinachef eines deutschen Autobauers fand das Modell schon während der Pandemie so spektakulär, dass er ein Exemplar nach Deutschland in die Unternehmenszentrale schicken ließ.

Generell ist das Interesse des deutschen Publikums an chinesischen Autos auf der Messe groß. Mancherorts seien die einzigen beiden Sprachen, die zu hören waren, Chinesisch und Deutsch gewesen, stellte ein Dokumentarfilmer aus Shanghai überrascht fest. „So. viele. Deutsche.“, twitterte er.

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Kein Wunder, denn die chinesischen Hersteller machen den Deutschen nicht nur in China Konkurrenz: Immer mehr von ihnen drängen nach Europa. Dass das aber kein Selbstläufer ist, musste zuletzt Nio-Chef William Li eingestehen. Nio will ein kleineres Modell auf den Markt bringen, „inspiriert von europäischen Nutzern“. Chinesische Hersteller stehen bei ihrer Expansion auf westliche Märkte ebenso vor Schwierigkeiten wie europäische Hersteller in China.

Hinzu kommen Unterschiede bei den Straßenverhältnissen, die insbesondere bei beliebten Fahrerassistenzsystemen Herausforderungen für die chinesischen Hersteller mit sich bringen. Der Code müsse aufgrund engerer Fahrspuren und kleinerer Parklücken angepasst werden, heißt es bei Xpeng. Außerdem müsse man in Deutschland aufpassen, dass das Auto beim selbstständigen Überholmanöver auf der Autobahn ohne Tempolimit nicht von einem von hinten heranrasenden Sportwagen gecrasht werde.

Verwandte Themen China Deutschland Herbert Diess Martin Winterkorn

Für den chinesischen Markt hingegen zeigen sich die neuen Angreifer äußerst selbstbewusst. Am Messestand von Xpeng hängt das Flugauto X2 von der Decke. Der batteriebetriebene Zweisitzer mit acht Propellern hat Anfang des Jahres eine Spezialgenehmigung für bemannte Testflüge erhalten. Für staugeplagte chinesische Großstädter wäre das ein vielversprechendes Angebot. Denn der Wettkampf um die innovativsten Lösungen für den wichtigsten Automarkt der Welt hat gerade erst begonnen.

Mehr: So wollen Mercedes, VW und Co. ihr lahmendes Geschäft in China drehen

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