Morning Briefing Plus: Wie gut muss sich ein Finanzminister in Finanzfragen auskennen?

Liebe Leserinnen und Leser,
willkommen zurück, zu unserem Blick auf die wichtigsten Ereignisse dieser Woche.
Ich erinnere mich an einen Besuch im Finanzministerium vor einigen Jahren. Ich wollte mit Wolfgang Schmidt sprechen, dem damaligen Staatssekretär (und späteren Kanzleramtschef). Als wir bei einer Tasse Kaffee über ein paar finanzpolitische Themen und den anstehenden Bundestagswahlkampf sprachen, klingelte Schmidts Handy. Der Finanzminister war dran, er hieß Olaf Scholz.
Wer Wolfgang Schmidt kennt, weiß, dass ihn so leicht nichts aus der Ruhe bringt. Damals aber war ihm eine gewisse Nervosität anzumerken. Ich weiß nicht mehr, worum es den Äußerungen Schmidts zufolge in dem Telefonat genau ging, aber es fielen die Worte Körperschaftssteuer und Kapitalgesellschaften. Scholz wollte Details wissen, die ihm Schmidt in dem Moment nicht liefern konnte – er versprach, schnellstmöglich zurückzurufen.

Scholz war als Finanzminister und später als Kanzler ein Mikromanager. Einer, der sich gedanklich in die Tiefen eines Problems begab und dazu sehr viel las, was er uns Journalisten gern spüren ließ. Dafür mangelte es ihm an der Fähigkeit, die großen Linien zu kommunizieren, eine Geschichte zu erzählen, wohin seine Politik eigentlich führen sollte.
Der heutige Finanzminister Lars Klingbeil pflegt eine andere Art des Regierens, wie es meine Kollegen Martin Greive, Jan Hildebrand und Andreas Kröner in einem großen Porträt beschreiben. In seiner Doppelrolle neigt er dazu, die Aufgaben als Vizekanzler zu bevorzugen, die Detailarbeit eines Finanzministers scheint ihm eher fern – was mittlerweile auch den Beamtinnen und Beamten in seinem Ministerium auffällt.

Wie tief muss ein Minister in die Materie seines Ressorts dringen? Muss er ein Experte sein? Oder ist es nicht viel wichtiger, dass er die Fähigkeiten eines guten Managers beherrscht? Die Antwort liegt, glaube ich, wie so oft in der Mitte.
Als Horst Seehofer Bundesinnenminister war, war ich mit für die Berichterstattung aus seinem Ressort zuständig und habe ein wenig mitbekommen, wie sein Führungsstil war. Auch wenn Seehofer unter der Woche in seinem Ministerium sogar übernachtete, war auch er nicht dafür bekannt, aus dem Stegreif Referentenentwürfe zu zitieren oder mit Paragrafen aus dem Bundespolizeigesetz argumentieren zu können.

Seehofer sah eher die langen Linien und suchte vor allem nach Gelegenheiten, parteipolitisch Punkte zu machen, gern auch höchst provokant.
Und doch durfte man Seehofer nicht unterschätzen: Stand eine Debatte im Bundestag, ein Koalitionsausschuss oder ein Besuch im Innenausschuss an, traf er sich mit Journalisten zu einem Hintergrundgespräch oder Interview, wusste er, wie er sich rasch das nötige Wissen aufladen konnte. Und wirkte bisweilen so, als habe er sich sein Leben lang mit keinem anderen Thema beschäftigt. Vielleicht sollte Lars Klingbeil mal bei Horst Seehofer anrufen.
Was uns diese Woche noch beschäftigt hat:
1. Der Finanzminister mag sich nicht für jedes Detail interessieren, für seine Politik bekommt er dennoch Lob aus berufenem Munde. „Wir haben viele Jahre angemahnt, dass die öffentlichen Investitionen in Deutschland zu gering sind“, sagte Pierre-Olivier Gourinchas, der Chefvolkswirt des Internationalen Währungsfonds, meinem Kollegen Martin Greive in einem Interview in Washington. „Wenn Deutschland nun neue Schulden macht, um die Infrastruktur zu modernisieren, wird dies das Wachstumspotenzial stärken.“
2. Es war ohne Frage die beste Nachricht der Woche: Die noch lebenden israelischen Geiseln sind frei, der erste Schritt zu einer Befriedung des Konflikts ist getan, nicht zu vergessen: Hilfslieferungen in größerem Ausmaß nach Gaza sind endlich möglich. Zu verdanken ist all dies Donald Trump, weshalb der Pathos, mit dem der US-Präsident in seiner Rede in der Knesset den Moment und vor allem sich selbst pries, verständlich und verzeihlich ist. Ob allerdings nun ewiger Frieden im Nahen Osten herrschen wird, wie Trump prognostizierte, nun, ja, das darf derzeit noch bezweifelt werden. Christoph Herwartz hat diesen historischen Tag festgehalten.

3. In meinem Editorial in dieser Woche habe ich es als Misstrauensvotum der Industrie gegen den Kanzler und seine Koalition bezeichnet. Eine Allensbach-Umfrage im Auftrag der Restrukturierungsberatung FTI-Andersch zeigt: Große Teile der Industrie haben den Glauben an die Zukunft verloren. Lesen Sie hier die Zusammenfassung der Studie, in der zumindest auch ein paar Hoffnungsschimmer aufscheinen.
Zugleich kämpft die schwarz-rote Koalition ihren eigenen Generationenkonflikt aus, wie Barbara Gillmann und Daniel Delhaes beobachten. Bei Zukunftsthemen wie Rente oder Wehrpflicht sind innerkoalitionäre Debatten entbrannt. Das wäre an sich in einer Demokratie nicht schlimm, wartete das Land und vor allem die Wirtschaft nicht auf ein gemeinsames und kraftvolles Aufbruchssignal dieser Regierungskoalition. Damit die nächste Umfrage vielleicht etwas optimistischer ausfällt.
4. Während die Ampelregierung noch davon absah, neue Kampfjets aus heimischer Produktion zu bestellen, hat unter Kanzler Friedrich Merz eine zweite Zeitenwende begonnen. Ein Umbruch, der kein Schuldenlimit kennt – und davon profitiert die Industrie. Und zwar kräftig. Airbus soll nun doppelt so viele Eurofighter produzieren, wie mein Kollege Markus Fasse erfahren hat, mehr noch: Der Großauftrag könnte nur der Anfang sein. Warum man beim Dax-Konzern auf weitere Aufträge hoffen darf, lesen Sie hier.
5. Glauben Sie zu wissen, wie die Arbeitswelt im Jahr 2030 aussieht? Ich jedenfalls nicht. Aber was ich sagen kann, ist, dass wir in einer Welt leben, in der Geschäftsmodelle, die wir heute für innovativ halten, morgen schon überholt sein können. Und dass manchen Unternehmen der Wandel gelingt – und anderen eben nicht. Aber warum genau ist das so? Forscher vom Fraunhofer-Institut liefern nun umfassende wissenschaftliche Fakten statt anekdotischem Wissen.

Sie haben mit KI Hunderttausende Studien ausgewertet, um zu verstehen, warum Unternehmen die Wende schaffen. Julia Beil, Annika Keilen und Anna Westkämper schreiben in unserem Freitagstitel, wie Würth, EBM-Papst, Läpple, Spotify, Schunk und andere die Transformation geschafft haben – und was Manager daraus lernen können. Nur so viel: Orientierung zu geben, ist hier entscheidend. Sind Sie der Richtige, um in die Zukunft zu gehen? Machen Sie den Selbsttest.
6. Jonas Andrulis stand für die ganz große Erzählung: Europa könne eigene Champions aufbauen, gar ein „deutsches OpenAI“. Lange ist’s her. Aleph Alpha verlor den Anschluss schon vor geraumer Zeit. Aber nun hat auch Mitgründer Andrulis die Führung abgegeben – unter ominösen Umständen. Larissa Holzki begleitete Aleph Alpha von Tag eins an. Sie hat den Rückzug von Andrulis rekonstruiert, ausführlich in seinem Umfeld recherchiert und interne Dokumente erhalten. Soll Andrulis beiseitegedrängt werden? Und falls ja, von wem? Ihren Insider-Bericht finden Sie unter diesem Link.

7. In der einen Region schafft Trump Frieden, in der anderen verschärft er den Konflikt: Die Auseinandersetzung mit dem Erzrivalen China hat sich auf See verlagert. Christoph Schlautmann beschreibt den neuen Handelskrieg im Hafenbecken. Das alles bleibt nicht ohne Folgen für die Märkte. Volatile Konflikte sorgen für eine stille Revolution des globalen Finanzsystems, wie Astrid Dörner, Tom Thiele und Michael Maisch in einer großen Analyse zum Debasement Trade darlegen – und unter anderem den Boom bei Gold und Krypto erklären.
8. Sie wollen diese Revolution nicht verpassen? Und auch nicht den Boom? Frank Wiebe hat viele Experten befragt, welche Rolle Gold und Kryptowährungen im Portfolio mittlerweile spielen sollten. Die Antworten sind teilweise überraschend. Alle Details lesen Sie hier.

9. Unzählige Texte hat unser Investigativteam über René Benko verfasst, seinen Aufstieg und Niedergang begleitet, dubiose Geschäfte seiner insolventen Signa-Gruppe, einst eines der größten Immobilien- und Handelsunternehmen Europas, aufgedeckt. Am Mittwoch nun startete das Hauptverfahren gegen Benko – und endete mit einem Schuldspruch. Unser Reporter Lars Marten Nagel war vor Ort, sein Fazit: Die österreichischen Strafverfolger sind knapp einer „maximalen Peinlichkeit“ entgangen. Hier sein lesenswerter Kommentar zur ersten Anklage – aber auch dazu, was von den dutzenden weiteren Verfahren zu erwarten ist.
10. Am Ende der Woche wurde dann noch ein Abschied bekannt: Oliver Blume gibt sein Amt als Porsche-Vorstandschef auf, er wird sich ganz auf VW konzentrieren. Nachfolger könnte Michael Leiters werden, der ehemalige Chef von McLaren Automotive.
Ich wünsche Ihnen ein wunderbares Herbstwochenende!
Bleiben Sie zuversichtlich!






Herzlichst
Ihr Martin Knobbe





