Geoeconomics: Europa vergibt leichtfertig Chancen in der China-Politik

„Ein erfolgreicher Umgang mit China erfordert das Gewicht ganz Europas. Die Bundesregierung richtet ihre Chinapolitik deshalb konsequent europäisch aus.“ So steht es in der Chinastrategie der Bundesregierung vom Sommer 2023. Man muss als deutscher Bundeskanzler zu diesem Zweck nicht unbedingt nach Paris reisen, um den chinesischen Staats- und Parteichef Xi Jinping gemeinsam mit Frankreichs Präsident Emmanuel Macron und der EU-Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen zu empfangen.
Angeblich haben sich der deutsche Bundeskanzler und der französische Präsident während ihres gemeinsamen Abendessens zuvor eng abgestimmt. Dennoch ruft die Choreografie der Besuchsdiplomatie – erst Scholz allein bei Xi in China, dann wenig später Xi in Frankreich bei Macron mit von der Leyen im Schlepptau – Erinnerungen an den ersten Staatsbesuch des Kanzlers in China wach.
Bereits im November 2022 hatte Macron dem Vernehmen nach Interesse, gemeinsam mit Scholz nach Peking zu fliegen. Dem war es jedoch wichtig, seinen ersten Staatsbesuch bei Xi allein anzutreten. Stattdessen lud Macron im April 2023 wie jetzt auch die Chefin der EU-Kommission ein, um ihn bei seinem Besuch in China zu begleiten.
Zugegeben, der damalige gemeinsame Auftritt von Macron und von der Leyen war sicherlich kein Glanzstück. Doch die grundsätzliche Idee, hochrangige Treffen mit Chinesen nicht national wahrzunehmen, sondern sie durch die Einbeziehung europäischer Partner und/oder von Vertretern der EU-Institutionen zu europäisieren, ist richtig.
Als Beobachterin fragt man sich deshalb, warum es für das Kanzleramt bereits zweimal nicht in Betracht kam, selbst diesbezüglich Initiative zu zeigen oder zumindest eine gemischte europäische Wirtschaftsdelegation nach China mitzunehmen. Macron und von der Leyen jedenfalls gelang es dieses Mal gut, ein Zeichen ihrer Geschlossenheit zu senden.
Man sollte nicht vergessen, dass es zur chinesischen Strategie gehört, die Europäer zu spalten und gegeneinander auszuspielen. Es ist kein Zufall, dass Xi auf seiner Europareise neben Frankreich und Serbien auch Ungarn besucht – das Land hat in der EU gemeinsame Beschlüsse zu China öfter verhindert und als trojanisches Pferd agiert.
Derisking wird stark unterschiedlich interpretiert
Je geschlossener die Europäer gegenüber China auftreten, desto mehr Hebel haben sie, um das Handeln Pekings zu beeinflussen. Die Wahrnehmung Chinas hat sich EU-weit in den letzten Jahren zum Negativen verändert und die Notwendigkeit einer aktiven, strategischen und mehrdimensionalen Risikominimierung im Umgang mit Peking wird inzwischen von vielen Akteuren gesehen.
Dennoch sind die Mitgliedstaaten noch weit von einer einheitlichen europäischen Chinapolitik entfernt, und Derisking wird stark unterschiedlich interpretiert und vorangetrieben.
Im bilateralen Kontext zeigen die EU-Staaten oft keine echte Bereitschaft, Europa an die erste Stelle zu setzen, sondern konkurrieren um Chinas Gunst und gute wirtschaftliche Beziehungen. Europas übergeordnetes strategisches Interesse ist oft zweitrangig. Leider hatte man diesen Eindruck auch nach dem letzten Besuch von Scholz.
Anders als immer noch zu viele EU-Mitgliedstaaten hat die EU-Kommission ein deutliches Gespür für die sicherheitspolitischen Implikationen einer allzu engen und vertrauensvollen Kooperation mit China entwickelt. Das gilt für die Risiken bei kritischen Abhängigkeiten, die von China ausgenutzt werden können, um die Handlungsfähigkeit der abhängigen Länder einzuschränken und sie erpressbar zu machen.

Das gilt auch für die geopolitischen Implikationen subventionierter chinesischer Elektroautos, die nicht nur europäische Märkte fluten und damit zerstören, sondern die auch als mobile Plattformen Daten sammeln und austauschen und damit ein potenzielles Einfallstor für gezielte Überwachung und Spionage bieten. Nicht umsonst hat die chinesische Armee inzwischen Tesla-Fahrzeige aus der Umgebung ihrer Militäranlagen verbannt.
Und das gilt auch mit Blick auf die Unterstützung des russischen Angriffskriegs in der Ukraine durch Peking. 2023 haben die Exporte von chinesischen Dual-Use-Gütern, die für die russische Waffenproduktion notwendig sind, sprunghaft zugenommen.






Die Europäer können diesen Herausforderungen tatsächlich nur begegnen, indem sie ihr ganzes Gewicht in die Waagschale werfen. Es bleibt zu hoffen, dass die nächste Europäische Kommission diesbezüglich genauso ehrgeizig ist wie die jetzige – und dass die Mitgliedstaaten sie dabei zukünftig stärker unterstützen.
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