Art Cologne: Rheinische Drehscheibe für die zeitgenössische Kunst
Köln. Die Welt ist in Aufruhr und Unordnung, als am Nachmittag des 7. Novembers 2024 die Art Cologne eröffnet. Donald Trump ist zum Präsidenten der Vereinigten Staaten gewählt, Deutschland in eine Regierungskrise gestürzt, in der Ukraine und im Nahen Osten toben Kriege. Umso erstaunlicher das aufgeräumte, ästhetische Bild, das die Mutter aller Messen abgibt. Dabei ist die Stimmung wie immer an so einem Tag festlich gehoben, die Leute gut gelaunt, gut angezogen und voll neugieriger Erwartungen.
Auch Messechef Daniel Hug verbreitet Gelassenheit. Nein, er glaube nicht, dass die Kriege die Art Cologne heute beeinflussen, zerstreut er Bedenken auf der Pressekonferenz und betont das „heute“. Hug rechnet nicht mit negativen Auswirkungen der US-Wahl, verweist auf steigende Börsenkurse, auf die Aussicht, dass Trump Steuern senkt und die so entstandene Liquidität in die Kunst fließt.
Ob dieses Geld nun ausgerechnet in Köln ausgegeben wird, darf bezweifelt werden. Die Art Cologne ist im letzten Jahrzehnt zu einer regionalen Messe geworden. Englisch hört man hier – anders als etwa auf der „Arco“ in Madrid – nur in Ausnahmefällen. Auch wenn eine gut gelaunte Silvia Baltschun, Direktorin der Galerie Sprüth Magers, ein amerikanisches Ehepaar und einen römischen Sammler sichtete.
Aber Deutschland braucht diese regionale Messe. Sie ist nach wie vor die wichtigste für die zeitgenössische Kunst und die Moderne, neben der Art Karlsruhe. Und sie ist ein Schaufenster für den hiesigen Handel. „Wir leben in einer extrem schwierigen Zeit“, konstatiert die Kölner Galeristin Anke Schmidt, stellvertretende Vorsitzender des Bundesverbandes Deutscher Galerien und Kunsthändler (BVDG). Noch nie hätten ihre Kollegen solche Anstrengungen unternehmen müssen, „um ihre Galerie am Laufen zu halten“.
Die 57. Ausgabe ist ein Spiegelbild dieser schwierigen Lage, was man ihr auf Anhieb nicht ansehen mag. Tatsächlich nehmen nur 152 Galerien teil. Der Rest sind Verlage, Institutionen und Initiativen. Hug spricht von „rund 170“ Ausstellern. Vor zwei Jahren waren es noch 190.
Unkenrufen zum Trotz melden große Galerien bereits nach wenigen Stunden ordentliche Verkäufe. Darunter Thaddaeus Ropac, der unter anderem Georg Baselitz‘ fetziges Ölgemälde „Gestern und heute“ (2020) für 875.000 Euro abgeben konnte. Sprüth Magers vermittelte Walter Dahns Spray-Bild „Baselitz Pop“, ein typisches „Bad Painting“ aus den 1980er-Jahren für 120.000 Euro. Doch die Galerie hat von Dahn noch mehr auf Lager. Das signalisieren die Leihgaben zu seiner großen Einzelschau, die zurzeit im Haus Mödrath bei Kerpen läuft.
Bei Sprüth Magers sind unter anderem zwei Arbeiten von Rosemarie Trockel verkauft: die sechsteilige, mit Acryl auf Papier skizzierte Serie „Cologne Nightingale“ für 95.000 Euro und ein anspielungsreiches Wandrelief für 150.000 Euro. Noch zu haben waren Trockel-Arbeiten auf Papier aber bei der Galerie Crone am gestrigen frühen Nachmittag.
Die von der Künstlerin persönlich ausgesuchten Arbeiten hat sie mit speziellen Rahmen versehen. Kostenpunkt: zwischen 22.000 und 34.000 Euro. Nach wie vor hält Trockel im frisch erschienenen Capital-„Kunstkompass“ von Linde Rohr-Bongard den vierten Rang unter den Top 100 erfolgreichsten lebenden Gegenwartskünstlern.
Ihre Stärken spielt diese Messe auf dem Feld der zeitgenössischen und jüngsten Kunst aus. Es gibt 26 sogenannte „Neumarkt“- Stände mit jungen, innovativen Galerien. Sechs mehr als im letzten Jahr. Hinzu kommen allein 15, vom Staatskulturministerium finanzierte, einzelnen Künstlerinnen oder Künstlern gewidmete „New Position“-Stände.
Eindrucksvoll ist die Koje am Stand von Rehbein. Hier hängen an die Hundert Zeichnungen und Gemälde, auf denen Eden Naël Liedke seine ebenso berührenden wie in ihrer Offenheit frappierenden Erfahrungen mit seiner „Geschlechtsangleichung“ thematisiert. Die Zeichnungen liegen bei 700 Euro, die Gemälde zwischen 3800 und 4900 Euro.
Nicht weit davon entfernt sind eigentümlich schmatzende Geräusche zu vernehmen. Sie stammen von einem mit Intelligenz ausgestatteten Schleimpilz, der auf dem Stand von Philipp von Rosen sein zwar sicher eingehegtes, aber schwer durchschaubares Unwesen treibt. 18.000 Euro setzt der Kölner Galerist für die Naturwissenschaft und Mythos verbindende Installation von Enya Burger an.
Auffällig ist die stark gewordene Gruppe von Galerien aus der Türkei. Wundern braucht man sich darüber nicht. Denn Menschen mit türkischen Wurzeln stellen die größte Einwandergruppe in Deutschland. Anna Laudel etwa hat Galerien an drei Standorten, in Istanbul, Bodrum und in Düsseldorf. Ihr Stand fällt schon von Weitem ins Auge. Die frei herunterhängenden, mit roter Wolle gewebten Textilarbeiten von Belkis Balpinar sind einfach ein Hingucker (ab 15.000 Euro).
Verlässlich Technologieaffin ist das Programm von Max Goelitz. Hier findet man jüngste Arbeiten der Künstlergruppe Troika. Sie hat zurzeit eine große Ausstellung in der Langen Foundation bei Neuss. Die Gruppe befasst sich mit künstlicher Intelligenz und algorithmischen Daten sowie Strategien der Verbildlichung. Die Muster ihrer Wandtableaus setzen sich deshalb aus Tausenden handverlegten Würfeln zusammen. Kostenpunkt für Arbeiten der Werkserie „Reality is Not Always Probable“: 25.000 Euro.
Spannend ist, was aus der „Art + Object“-Abteilung geworden ist, dem Überbleibsel der abgewickelten Cologne Fine Art. Auf den ersten Blick scheint Daniel Hug die Sektion gestärkt zu haben, indem er von vier im letzten Jahr auf aktuell neun Stände aufstockte. Doch teilweise wirkt das wie ein Etikettenschwindel. Das zeigt ein Gang durch die untere Halle 11.1, wo sich Art + Object unter die Moderne und Nachkriegskunst mischt. So stößt man auf dem Stand der A.M. Art-Galerie aus Mailand auf abstrakte Papierarbeiten im konstruktivistischen Stil von Luigi Veronesi. Der Künstler war in diversen Disziplinen zu Hause, auch als Grafiker. Ist das die Verbindung mit der angewandten Kunst?
Fast wie von einem anderen Stern wirkt die mittelalterliche Figurenplastik auf dem Stand von Dierking. Sie trifft hier auf filigrane Arbeiten von Norbert Kricke aus dem Nachlass. Die Erwartungen liegen zwischen 125.000 und 280.000 Euro für Kricke, ab 90.000 Euro für die mittelalterlichen Bildwerke.
Antiquitäten fanden ansonsten keine Gnade mehr vor den Augen Daniel Hugs. Es sei denn, sie überspielen die Grenze zum Bildnerischen. Perfekt gelingt das dem Gemeinschaftsstand von Bartha Contemporary und Joost van den Bergh. Tantrische Meditationsbilder aus Indien und Kaschmir entfalten hier ihren außerordentlichen Reiz im Zusammenspiel mit den gegenstandslosen Gemälden, etwa von Stephan Baumkötter und Susan Morris.
Niklas von Bartha findet es schön, dass die Art Cologne ein vielfältigeres Bild abgibt als die Art Basel- und Frieze-Messen mit ihrem stromlinienförmigen Angebot. Ihre originelle Offerte in allen Preislagen zwischen 500 Euro und knapp 6 Millionen Euro (für ein Frank-Stella-Bild bei Samuelis Baumgarte) ist eine Stärke, auf die sich die Art Cologne etwas einbilden kann.
Art Cologne, 57. Internationaler Kunstmarkt, bis 10. November, Messehallen 11.1 und 11.2, Messeplatz 1, 50679 Köln (Deutz); www.artcologne.com