Benachrichtigung aktivieren Dürfen wir Sie in Ihrem Browser über die wichtigsten Nachrichten des Handelsblatts informieren? Sie erhalten 2-5 Meldungen pro Tag.
Fast geschafft Erlauben Sie handelsblatt.com Ihnen Benachrichtigungen zu schicken. Dies können Sie in der Meldung Ihres Browsers bestätigen.
Benachrichtigungen erfolgreich aktiviert Wir halten Sie ab sofort über die wichtigsten Nachrichten des Handelsblatts auf dem Laufenden. Sie erhalten 2-5 Meldungen pro Tag.
Jetzt Aktivieren
Nein, danke

Gastkommentar Merkels Finanzpolitik – „Stabilitätspolitische Erfolge, Verfall der Reformbereitschaft“

Die Kanzlerin sorgte für stabile Staatsfinanzen im Vergleich zu anderen europäischen Staaten. Unter anderem bei der Rentenfinanzierung bleiben jedoch Fragen offen, bilanziert Clemens Fuest .
26.08.2021 - 16:04 Uhr 1 Kommentar
Clemens Fuest leitet das Institut für Wirtschaftsforschung (Ifo) in München und lehrt an der dortigen Ludwig-Maximilians-Universität. Seine Spezialgebiete sind Wirtschafts-, Finanz und Steuerpolitik sowie Fragen der europäischen Integration. (Foto: imago images)
Clemens Fuest

Clemens Fuest leitet das Institut für Wirtschaftsforschung (Ifo) in München und lehrt an der dortigen Ludwig-Maximilians-Universität. Seine Spezialgebiete sind Wirtschafts-, Finanz und Steuerpolitik sowie Fragen der europäischen Integration. (Foto: imago images)

Die haushalts- und finanzpolitische Bilanz der Ära Merkel enthält Licht und Schatten. Der größte Erfolg liegt darin, dass die Stabilität der deutschen Staatsfinanzen in dieser Zeit weniger gelitten hat als in anderen Ländern, obwohl die Wirtschaft die beiden tiefsten Wirtschaftskrisen seit dem Zweiten Weltkrieg überstehen musste – die globale Finanzkrise und die Corona-Pandemie. Die wichtigsten Schwächen sind die mit der Zeit nachlassende Bereitschaft zu weitsichtigen Reformen und die zunehmende Tendenz zu kurzfristig und wahltaktisch orientierter Finanzpolitik.

Der sichtbarste Indikator für die Stabilität der deutschen Staatsfinanzen ist die Staatsschuldenquote, also das Verhältnis aus Staatsschulden und Bruttoinlandsprodukt. Sie lag im Jahr 2005, als Angela Merkel Bundeskanzlerin wurde, bei 67 Prozent, stieg während der globalen Finanzkrise im Jahr 2010 auf 82 Prozent, sank bis zum Jahr 2019 aber wieder auf 60 Prozent. Durch die Coronakrise wird die Quote in diesem Jahr voraussichtlich wieder über 70 Prozent liegen. Aber dieser Anstieg ist in einer tiefen Krise auch sinnvoll.

Die Finanzen anderer europäischer Länder haben sich deutlich schlechter entwickelt. Frankreichs Staatsschuldenquote lag 2005 ebenfalls bei 67 Prozent und stieg infolge der globalen Finanzkrise bis 2010 auf 85 Prozent. Anders als in Deutschland stieg sie danach jedoch weiter an und erreichte im Jahr 2019 98 Prozent.

Italien hatte 2005 mit Staatsschulden von 107 Prozent der Wirtschaftsleistung bereits eine schlechtere Ausgangsposition. Die Kombination aus Finanz- und Euro-Krise warf das Land wirtschaftlich weiter zurück, 2019 lag die Schuldenquote dort bei 135 Prozent. Infolge der Coronakrise wird die Quote voraussichtlich auf Werte um 160 Prozent steigen.

Die hohe Verschuldung der Partnerländer hat mittlerweile allerdings auch für Deutschland Konsequenzen. Als die Coronakrise ausbrach, drohte an den Finanzmärkten eine Wiederholung des Vertrauensverfalls, der Italien und andere Länder in der Euro-Krise an den Rand des Staatsbankrotts gebracht hatte.

Die Schwarze Null sorgte in ihrer Amtszeit für hohe Haushaltsüberschüsse. Quelle: dpa
Angela Merkel

Die Schwarze Null sorgte in ihrer Amtszeit für hohe Haushaltsüberschüsse.

(Foto: dpa)

Um das abzuwenden, wurde mit dem Rettungsfonds „Next Generation EU“ ein umfangreiches Transferprogramm aufgelegt, bei dem Deutschland Nettozahler ist. Zu verhindern, dass die Probleme der Euro-Krise zurückkehren, lag auch im deutschen Interesse. Kritiker bemängeln, die finanzpolitische Disziplin Deutschlands führe nur dazu, dass das Land Transfers an Staaten zahlen muss, die sich weniger anstrengen, ihre Finanzen unter Kontrolle zu halten.

Wie groß waren finanzpolitische Anstrengungen und Disziplin in Deutschland wirklich? Der Rückgang der deutschen Schuldenquote um 22 Prozentpunkte in den Jahren zwischen 2010 und 2019 ist Folge erheblicher Haushaltsüberschüsse, die mit der von Finanzminister Wolfgang Schäuble vertretenen Politik der „schwarzen Null“ eingeleitet wurden.

Übermäßig anstrengen musste die deutsche Finanzpolitik sich dafür allerdings nicht. Gelegentlich wird behauptet, der Bevölkerung sei „Austerität“ zugemutet worden oder man habe öffentliche Investitionen vernachlässigt. Tatsächlich kann von Austerität zumindest bei den Ausgaben keine Rede sein.

Die öffentlichen Ausgaben ohne Zinsen und Investitionen betrugen 2019 41,6 Prozent des BIP und lagen damit ungefähr so hoch wie 2005 mit 42 Prozent. Dabei ist zu berücksichtigen, dass es 2005 etwa doppelt so viele Arbeitslose gab wie 2019, die unterstützt werden mussten.

Austerität in Form sinkender konsumtiver Staatsausgaben gab es also nicht. Es gab auch keine Kürzungen der Investitionen, im Gegenteil: Der Anteil der öffentlichen Investitionen am BIP stieg sogar um ein Viertel, von rund zwei Prozent 2005 auf 2,5 Prozent 2019. Sicherlich hätte man hier mehr tun können, vor allem bei der Digitalisierung des öffentlichen Sektors. Aber hier fehlten wohl eher Agilität und Problembewusstsein als Geld.

Schwarze Null schafft Freiräume

Ermöglicht wurde die schwarze Null durch zwei andere Faktoren: Der erste ist der Zinsrückgang. 2005 betrugen die öffentlichen Zinsausgaben noch 2,8 Prozent des BIP. 2019 waren es nur noch 0,8 Prozent. Der zweite Faktor ist eine steigende Steuerlast: Die Abgabenquote stieg von 38,8 Prozent im Jahr 2005 auf 41 Prozent im Jahr 2019.

Auch wenn die schwarze Null Angela Merkel also quasi in den Schoß gefallen ist, muss man anerkennen, dass diese Politik Deutschland finanzielle Spielräume verschafft hat. In der Coronakrise konnte Deutschland die Konjunktur massiv stützen, ohne befürchten zu müssen, dass das Vertrauen in die finanzielle Solidität des Landes leidet.

Diesen stabilitätspolitischen Erfolgen steht ein Verfall der Reformbereitschaft vor allem in der Steuer- und Sozialpolitik gegenüber. In den frühen Jahren der Ära Merkel war das noch anders. 2008 wurde die Unternehmensbesteuerung neu geordnet, unter anderem sank der Steuersatz auf Unternehmensgewinne von 38 auf 30 Prozent.

Es folgt die Einführung der Schuldenbremse im Jahr 2009. Beide Reformen sind bis heute umstritten. Aber die Politik hat gehandelt, um die langfristige Wachstumsentwicklung und die Stabilität der Staatsfinanzen zu stärken.

In den Jahren danach richtete sich die Finanz- und Haushaltspolitik stattdessen eher auf das Verteilen von Wohltaten aus. Dabei erschien Wahltaktik wichtiger als sozialpolitische Zielgenauigkeit. Das betrifft vor allem die Rentenpolitik. Beispiele sind die Rente ab 63, die Mütterrente und die Grundrente.

Der Vorwurf, dass diese Leistungsausdehnung angesichts der Demografie Nachhaltigkeit und Generationengerechtigkeit gefährde, wurde mit dem Versprechen der „doppelten Haltelinie“ beantwortet. Danach sollen die Renten nicht unter ein gewisses Niveau sinken, die Beiträge aber auch nicht über einen Höchstwert steigen.

Diese Politik erweckt den Eindruck, dass das Geld, mit dem die künftigen Renten bezahlt werden, wohl vom Himmel fallen wird. Die vielleicht unpopuläre, aber notwendige Antwort auf die Frage, wie die absehbaren Finanzlücken gefüllt werden sollen, wird verweigert. In der Kranken- und Pflegeversicherung gibt es ähnliche Probleme.

Zu dieser Realitätsflucht in der Sozialpolitik hat sich eine Reformverweigerung in der Steuerpolitik gesellt. Andere Länder haben in den letzten zehn Jahren Steuern für Unternehmen gesenkt, um Investitionen und Beschäftigung zu fördern. Deutschland hat auf diesem Gebiet seit 2008 nichts getan und weist deshalb im internationalen Vergleich mittlerweile eine der höchsten Steuerlasten für Unternehmen auf.

Bei der Einkommensteuer ist es erforderlich, die Erwerbsanreize für die Zweitverdiener zu verbessern. Im System der Sozialtransfers herrscht ein irrationaler Wildwuchs, mit der Folge, dass mehr Erwerbstätigkeit im Niedrigeinkommensbereich teilweise finanziell bestraft wird.

So wird verhindert, dass Menschen sich aus eigener Kraft aus der Abhängigkeit von staatlichen Hilfen befreien. Reformbedürftig sind auch die Kommunalfinanzen, deren Abhängigkeit von der Gewerbesteuer in der aktuellen Krise erneut Schaden angerichtet hat. Es wäre nicht schwer, diese Probleme zu lösen. Aber es geschieht nichts.

Ob die erlahmenden Reformkräfte mit der langen Amtszeit von Angela Merkel zu tun haben oder nicht, darüber kann man nur spekulieren. Die nächste Bundesregierung hat jedenfalls die Chance und die Pflicht, diesen Reformstau mit neuem Elan aufzulösen.

Sie kann sich dabei immerhin auf Staatsfinanzen stützen, die trotz aller Versäumnisse und künftiger Herausforderungen vergleichsweise solide sind.

Mehr zum Thema:

Startseite
Mehr zu: Gastkommentar - Merkels Finanzpolitik – „Stabilitätspolitische Erfolge, Verfall der Reformbereitschaft“
1 Kommentar zu "Gastkommentar: Merkels Finanzpolitik – „Stabilitätspolitische Erfolge, Verfall der Reformbereitschaft“"

Das Kommentieren dieses Artikels wurde deaktiviert.

  • Wes Brot ich ess, des Lied ich sing! Setzen: 6 ,Herr Fuest. Schaut man sich die tatsächliche Schuldenbilanz und die Targetsalden an muß man Angst haben. Die ersten Jahre hat die Frau (bewußt "die Frau" denn sie ist keine Dame) von Schröders Reformen, insbesondere Hartz 4 profitiert. (Das haben Helden, wie Sie, damals auch oft und gerne propagiert) Ab 2008 -2009 gings dann rapide bergab. All die derzeitige Schönfärberei der 16 jährigen Regierungszeit dieser Frau ist doch nur Makulatur. Bei der Rentenfinanzierung bleiben Fragen offen: Selten so gelacht. Diese Karre ist gegen die Wand gefahren und irgendwer kann jetzt sehen den Schrott zu beseitigen. 2,5 Mio Neubürger mit einem ca. 30% Anteil Familien Nachzug und die älteren unter denen werden eine Grundrente erhalten, ohne je eingezahlt zu haben. Gleiches gilt übrigens für Kohls Heimkehrer Programm. All die Rußlanddeutschen die hier sind mit Kind und Kegel. Wer glaubt denn daß die mittlerweile arbeitenden Nachkommen die Renten der Erstankömmlinge tragen? Weiter so - bis zum bitteren Ende. Sozialismus hat bis heute nirgendwo funkioniert und es wird auch auf der Schiene Merkel nicht klappen. Das Erwachen wird weh tun.

Zur Startseite
-0%1%2%3%4%5%6%7%8%9%10%11%12%13%14%15%16%17%18%19%20%21%22%23%24%25%26%27%28%29%30%31%32%33%34%35%36%37%38%39%40%41%42%43%44%45%46%47%48%49%50%51%52%53%54%55%56%57%58%59%60%61%62%63%64%65%66%67%68%69%70%71%72%73%74%75%76%77%78%79%80%81%82%83%84%85%86%87%88%89%90%91%92%93%94%95%96%97%98%99%100%